Achten Sie auf Ihre eigene Gesundheit

Podcast „Gesund betreuen, gesund bleiben“ (Folge 1/5) zum Nachlesen

  • Frau Dr.in Christine Haiden im Gespräch mit
  • Frau Mag.a Doris Kasberger, Pflegewissenschafterin, akad. geprüfte Lehrerin für Gesundheitsberufe, DGKS beim Amt der Oö. Landesregierung.

Gesund betreuen, gesund bleiben. Wir sprechen über das, was pflegende Angehörige interessiert mit Gästen, die wissen, was es heißt, daheim für einen anderen Menschen, der Hilfe braucht, da zu sein. Damit es diesem Menschen gut geht, muss es auch den pflegenden Angehörigen gut gehen. Unser Gast heute ist Doris Kasberger,

Herzlich willkommen. Guten Tag, Frau Kasberger, Sie sind beim Land Oberösterreich in der Abteilung Gesundheit für die Stammtische, für pflegende Angehörige zuständig. Sie erstellen dort Angebote. Diese gibt es schon in 68 Gemeinden in ganz Oberösterreich. Warum sollte ich mir als pflegende Angehörige überlegen, zu einem solchen Stammtisch zu kommen? Was erwartet mich da?

Der Stammtisch für betreuende pflegende Angehörige stellt ein ganz niederschwelliges Angebot des Landes dar. Es ist ganz unkompliziert, dort hinzugehen. Er findet einmal im Monat für zwei Stunden statt, ist kostenlos, unverbindlich und anonym. Es ist für die Teilnehmer/innen ganz wichtig zu wissen, dass es ein geschützter Rahmen ist, in dem sie auch ihre Sorgen und Ängste loswerden können. Wo alles an dem Ort bleibt, an dem es ausgesprochen wurde und nichts nach außen getragen wird. Probleme auszusprechen, sich mit anderen beraten zu können, erleichtert natürlich. Es ist eine Art psychosoziale Vorsorge. Wir erleben in der Praxis immer wieder, dass Leute hinausgehen und sagen: Es hat mir so gutgetan, auch wenn es nur zwei Stunden oder drei Stunden waren. Es erleichtert einfach.


Dass diese Situation, die doch recht herausfordernd sein kann, zu pflegen, weil man für einen Menschen sorgt, weil man sehr viel organisieren muss, weil man auch für sich selbst ab und zu etwas Gutes tun soll, weil man da auch Ansprechpartnerinnen in gleicher Situation schätzt. Welche Themen erwarten mich denn bei einem solchen Stammtisch? Wie geht denn das ungefähr?

Die Stammtische werden begleitet von diplomiertem Pflegepersonal. Es ist natürlich jeder Stammtisch ganz individuell, weil die Personen, die dort hinkommen, verschiedene Problematiken, verschiedene Krankheitsbilder haben und auch die Personen, die sie betreuen, ganz individuelle Probleme mit sich bringen. Die Leitung spürt: „Was braucht meine Gruppe jetzt?“ Ob es jetzt wirklich um Beratung geht oder um Information, ob es spezielle Themen sind. Es können natürlich Themen sein, die immer wieder mal vorkommen, wie zum Beispiel Vorsorgevollmacht, die ganz wichtig ist. Genauso wie oder wo kann ich Anträge stellen, woher bekomme ich Unterstützung? Eigentlich soll es ja immer um die psychosoziale Gesundheit der Betreuungspersonen gehen. Wie kann sich die betroffene Person auf sich selbst und auf ihre Gesundheit konzentrieren?


Ihre Aufgabe als zentrale Stelle im Land ist es ja auch, in diese Stammtische sozusagen Inputs zu geben. Auch immer ein bisschen am Radar zu haben.

Welche Themen sind denn gerade besonders wichtig? Wo könnten Informationen gebraucht werden? Was sollten wir weitergeben? Jetzt haben Sie gerade dieses Thema, das Fürsorge für sich selbst angesprochen, also auch dafür zu sorgen, dass es den Pflegenden gut geht. Was kann man denn da anbieten? Was kann man denn pflegenden Angehörigen raten, damit sie gut für sich sorgen?

Es ist natürlich ganz schwierig, in einer Situation in der man ständige Präsenz beweisen muss, für sich selber zu sorgen. Ich denke, es ist das Wichtigste, dass einem selber bewusst ist, dass man auch auf die eigene Gesundheit achten muss. Man kommt in einen Hürdenlauf des Lebens hinein, weil man so viele Rollen begleiten muss. Wenn man die Rolle der Betreuungsperson hat, aber auch noch die des Lebenspartners oder die des Ehepartners, die Rolle der Mutter oder der Großmutter, wenn man selber noch berufstätig ist oder auch schon in einem Alter, in dem man vielleicht selber schon körperliche Gebrechen hat und nicht mehr alles so leisten kann. Die eigenen Grenzen zu spüren, ist das Wichtigste. Wenn man spürt, jetzt geht es nicht mehr, dann ist man auch schneller bereit, etwas dagegen zu tun. Aber ganz wichtig ist es, wirklich zu planen. Wenn ich mir einen Plan mache und weiß, dieser Nachmittag oder auch diese kurze Auszeit gehört mir und ich nehme mir etwas vor, dann glaube ich, geht das besser.

Natürlich ist es auch für die psychosoziale Gesundheit gut, wenn ich mir Projekte und Unternehmungen vornehme, die mir einfach guttun, wo ich auf mich selber schaue, dass ich zum Beispiel sportliche Aktivitäten, die ich immer gemacht habe, Hobbys beibehalte, mich mit Freunden treffe. Wo sich nicht wieder irgendeine Problematik aufdrängt, wo es mir einfach selber gut geht. Da hilft oft ein Gespräch mit dem Nachbarn oder ein Kaffeeplausch mit der Freundin, der ich auch meine Ängste anvertrauen kann.


Ein Stammtisch ist so etwas wie eine Rückenstärkung, dass man das tatsächlich dann auch ernst nimmt und zumindest in kleinen Schritten umsetzt.

Der Stammtisch ist ein Fixpunkt, den sich die Angehörigen planen. Da gehen sie hinaus, die Zeit nehmen sie sich und man merkt, sie haben einen positiven Zugang dazu. Wir versuchen natürlich auch immer Themen anzusprechen, die ihnen guttun, die sie bewerkstelligen können. Es kann genauso gut sein, dass eine Gruppe zum Beispiel ins Theater, in ein Kabarett oder in einen Film geht, gemeinsam irgendwelche sportlichen Aktivitäten macht. Zum Beispiel Eisstockschießen oder Rodeln gehen, es wird also wirklich ganz individuell darauf achtet, was kann diese Gruppe machen, was möchte sie machen?


Also etwas, dass man vielleicht alleine nicht so leicht macht, macht man in der Gruppe gerne. Eine Pflege hat auch sehr spezifische Herausforderungen. Je nach Erkrankung des Patienten, kann man in einem Stammtisch konkrete Tipps für die Pflege von bestimmten Krankheitsbildern, die Angehörige haben, auch bekommen.

Genau. Die Stammtischleitung ist ja eine diplomierte Fachkraft. Die genau weiß, wie die Pflege auf bestimmte Krankheitsbilder abgestimmt werden muss. Wenn jetzt ein neuer Teilnehmer kommt, der zum Beispiel Informationen über das Krankheitsbild der Demenz braucht, die ja sehr viele Facetten hat, kann man natürlich genau auf diese Person eingehen und die Beratung in diese Richtung leiten.


Oder Kinästhetik wird auch ein Thema sein vermutlich?

Kinästhetik ist natürlich ein Thema, da sie unterstützt, wie bestimmte Bewegungsabläufe für den Pflegenden und auch für die die betreuende Person vereinfacht werden können.


Heute ist mein Gast Doris Kasberger. Sie ist beim Land Oberösterreich in der Abteilung Gesundheit für Stammtische der pflegende Angehörige zuständig. Wir haben schon ein paar Themen angesprochen, die bei solchen Stammtischen unterstützend wirken. Jetzt stellt sich die Frage: Wenn ich schon sehr eingespannt bin, dann muss ich mir auch noch diesen Abend für den Stammtisch freinehmen. Was sollte ich denn da machen, damit das gut klappt?

Um mir eigene Freiräume schaffen zu können und auch Termine einhalten zu können, muss ich es mir natürlich organisieren. Und ich denke, als Pflegeperson ist es ganz wichtig, dass ich plane, vorausschauend plane, damit ich auch dann die Möglichkeit habe, wegzukommen.

Es ist ja wirklich so, dass gerade dann, wenn man weggehen möchte, vielleicht irgendein Problem auftaucht. Und wenn ich dann nicht weiß, dass ich Unterstützung von anderen Personen habe, dann werde ich es nicht schaffen, wegzugehen und auch gedanklich frei sein. Weil der ständige Präsenz, die man hat, auch wenn man außer Haus geht und weiß, der zu Betreuende ist von mir abhängig, schränkt mich einfach ein.


Was ist, wenn ich ein bisschen mehr Abstand brauche, wenn ich sage, jetzt reicht nicht mehr der eine Abend im Monat, jetzt muss ich einfach mal paar Tage weg? Haben Sie da auch ein Angebot für pflegende Angehörige?

Die Abteilung Gesundheit bietet zweimal im Jahr die Auszeit-Tage. Das sind Kurzurlaube für pflegende Angehörige, die als Verschnaufpause gesehen werden können. Diese Tage sind einfach eine Möglichkeit, eine kurze Zeit wegzukommen und aus dem Pflegealltag auszutreten. Die Betreuungsperson ist dann in einer geselligen Runde mit Personen zusammen, die eine ähnliche Situation im häuslichen Umfeld erleben. Man kann sich austauschen und man kann sich auch entspannen.


Und man hat ein Angebot, das man nicht selbst organisieren muss, sondern wo auch dafür gesorgt wird, dass es ein Programm gibt, das die Versorgung passt.

Wir sind vor Ort und betreuen die Personen. Sie haben auch die Möglichkeit eines psychosozialen Gesprächs zur eigenen Situation, das auch sehr gut angenommen wird.


Jetzt haben wir schon ein paar Mal dieses Thema gehabt. Es geht darum, dass man selbst auch gesund bleibt. Was man da tun kann. Ein sehr großes Thema ist, wie man in so einer Pflegesituation auch irgendwie mitten im Leben bleibt. Auch im Leben mit anderen Menschen. Es besteht ja tatsächlich die Gefahr, dass man auch vereinsamt in einer solchen Pflegesituation. Wie kann man dem vorbeugen?

Die soziale Isolation ist eines der größten Themen, zum einen für den Pflegenden,

aber auch für die Betreuungsperson. Je mehr man sich auf die Pflege einlässt, desto weniger nimmt man natürlich Teil am psychosozialen Leben außerhalb der vier Wände.

Man muss wirklich darauf achten, dass man mit Freunden und Bekannten, die sich oft aus Unwissenheit oder Unsicherheit nicht mehr so oft melden, den Kontakt aufrechterhält, dass man auch Hobbys und Freizeitaktivitäten wirklich noch durchführt.

Die Pflege macht ja auch müde und es ist wirklich oft so, dass man das bisschen Freizeit, das man dann noch hat, oft gar nicht mehr wirklich verplant, sondern vor Erschöpfung nichts mehr machen möchte. Dadurch erhöht sich aber die Gefahr immer mehr in die Spirale der Isolation hinein zu rutschen, ohne sich dessen bewusst zu sein.


Ein sehr großes Thema ist gerade bei älteren Angehörigen die Demenz. Das ist eine Art Volkskrankheit. So wird es immer wieder bezeichnet, die auch zunimmt. Wie können denn Stammtische Angehörige unterstützen, die einen an Demenz erkrankten Menschen zu Hause haben?

Am Stammtisch kann das Thema Demenz in allen Facetten beleuchten werden.

Es ist wichtig, Verständnis dafür aufzubringen, dass, wenn die kognitive Fähigkeit verloren geht, die Emotion beim Dementen immer mehr hervortritt.

Es kommt dann oft zu so skurrilen Situationen, wenn die Teilnehmerinnen zum Stammtisch kommen und solche Situationen beschreiben, dann ist das für andere zum Lachen.

Ja, aber alleine dadurch, wenn jemand etwas erzählt und man muss lachen und man kann mitlachen. Das entschärft die Situation für den Betroffenen.


Also man darf ruhig auch lachen?

Es wird darauf geachtet, dass es bei jedem Stammtisch etwas zu lachen gibt.

Ich kann zum Beispiel eine Situation erzählen, die ich selber erlebt habe mit einer dementen Angehörigen. Diese ist zur Polizei gegangen und hat mich angezeigt, dafür, dass ich in der Nacht immer mit ihrem Auto fahre. Es war für mich überhaupt nicht lustig, dass mich die Polizei angerufen und zu einem Gespräch gebeten hat. Aber wenn ich das den anderen Teilnehmern erzählt habe, dann haben sie natürlich lachen müssen. Selbstverständlich bin ich nie mit ihrem Auto gefahren.


Ja, ich glaube, man lernt ja dann auch beim Austausch wieder ein bisschen Distanz zu bekommen. Und ein bisschen Distanz braucht man auch, um Dinge einschätzen zu können und um nächste Schritte gehen zu können. Sie haben ja selbst Frau Kasberger, auch Ihren Vater gepflegt, zusammen mit einer 24 Stunden Betreuung. Ich nehme an, das war eine Zeit, wo sie auch einiges gelernt haben, vielleicht dann in der Distanz auch reflektiert haben. Fließt das irgendwo in Angebote ein, die Sie für pflegende Angehörige jetzt in Ihrer beruflichen Aufgabe schaffen?

Ja, ich denke schon. Etwas theoretisch erlebt zu haben oder zu wissen oder es auch persönlich erlebt zu haben, macht natürlich einen ganz großen Unterschied.

Ich habe schon gelernt, dass man Hilfe zulassen und annehmen muss. Eine 24 Stunden

Pflege, die ins häusliche Umfeld kommt, kommt natürlich auch in die Intimsphäre

der ganzen Familie und der der betroffenen Personen. Und die muss auch angenommen und eingeladen werden. Man muss sich darauf einlassen, weil die Pflegepersonen, die aus einer anderen Kultur in eine ungewisse Situation, in eine Familie kommen, müssen sich auch wohlfühlen in dieser Situation, damit sie auch die Arbeit bei uns gut machen können.


Also eine Pflegesituation, die sehr häufig vorkommt und die dann natürlich auch reflektiert wird bei den Stammtischen. Wie kann man denn das bestmöglich organisieren.

Die Pandemie, in der wir ja leider noch immer leben, hat auch für die Stammtische, die sie jetzt vom Land Oberösterreich in den 68 Gemeinden schon organisieren, Auswirkungen gehabt. Sie konnten zum Teil nicht stattfinden, weil keine Präsenz möglich war. Zum Teil haben sie auch digital stattgefunden. Ist das ja eine Überlegung, Stammtische in Zukunft auch digital anzubieten?

Ja, durch die Pandemie konnte natürlich Präsenz an den Stammtischen nicht geboten werden.  Es bestand dann die Möglichkeit, dass die Teilnehmerinnen telefonisch kontaktiert werden konnten oder auch in Einzelgesprächen oft bei Spaziergängen abgehalten wurden.

Für die Zukunft ist es natürlich so, dass wir uns daran orientieren oder daran denken, eventuell auch ein digitales Angebot zu schaffen. Es fehlt aber irgendwie der Zugang. Wie kommt man zu den pflegenden Angehörigen, die pflegenden Angehörigen sind ja in der Gesellschaft anonym und nicht in einer Gruppe, wo man hingehen und sie auch ansprechen kann. Das ist die Schwierigkeit.


Das heißt, es ist noch immer eigentlich für pflegende Angehörige der einfachere Weg, sich zu erkundigen, wo in meiner Gemeinde oder in der Nachbargemeinde gibt es einen solchen Stammtisch, um einmal persönlich hinzugehen. Wenn es ein digitales Angebot gibt, hat man die Möglichkeit, informiert zu werden.

Genau


Zum Abschluss Sie sind jetzt auch schon sehr lange in diesem Bereich tätig, haben als eine, die für alle Stammtische zuständig ist, auch sehr viel Erfahrung, sehr viel Austausch mit den Stammtisch Leiterinnen, die es gibt. Was möchten Sie denn pflegenden Angehörigen besonders mitgeben?

Schauen Sie auf sich selber und auf Ihre eigene Gesundheit. Nutzen Sie jede mögliche Unterstützung, die es im Angebot gibt.


Das ist das Allerwichtigste, um tatsächlich auch gut für alle Beteiligten, für die, die pflegen und die, die gepflegt werden, durch diese Zeit zu kommen, die ja auch bereichernd sein kann. Frau Kasberger ich danke Ihnen sehr herzlich.

Dankeschön!

Unsere Podcasts

Zum Schwerpunkt „Gesund betreuen.Gesund bleiben“ haben wir fünf Podcasts entwickelt, in welchen Expertinnen sowie Betroffene einen Einblick geben, warum und wie man als pflegende Angehörige bzw. pflegender Angehöriger auf die eigene Gesundheit achten sollte.