Es braucht ein gutes Netzwerk

Podcast „Gesund betreuen, gesund bleiben“ (Folge 3/5) zum Nachlesen

  • Frau Dr. Christine Haiden im Gespräch mit
  • Herrn Dipl. Ing. Matthias Schmied MSc., Pflegender Angehöriger

Gesund betreuen, gesund bleiben. Wir sprechen über das, was pflegende Angehörige interessiert, mit Gästen, die wissen, was es heißt, daheim für einen anderen Menschen, der Hilfe braucht, da zu sein.

Damit es diesen Menschen gut geht, muss auch den pflegenden Angehörigen etwas Aufmerksamkeit gewidmet werden, es muss auch ihnen gut gehen.

Unser Gast heute ist Matthias Schmied.

Guten Tag, Herr Schmied!

Grüß Gott!


Herr Schmied, Sie sind als Entwickler in der Medizintechnik tätig. Sie sind beruflich selbstständig und Sie pflegen Ihre 88-jährige Mutter. Sie lebt alleine, aber im gleichen Ort wie Sie und doch nicht in unmittelbarer Nähe. Wie geht denn diese Pflege?

Diese Frage: „Wie geht diese Pflege?“ enthält für mich so ein bisschen das Nachfragen nach einem Rezept und da möchte ich gleich vorausschicken, das kann ich nicht liefern.

Und zwar warum nicht? Weil ich glaube, diese Betreuungs-Pflegesituationen sind sehr individuell, unterschiedlich. Es geht ja um Menschen und es geht um Beziehungen. Und die sind eben per se sehr individuell. Insofern liegt es mir überhaupt nicht und liegt es mir sehr ferne, irgendwelche Ratschläge, Rezepturen oder sonstige Weisheiten von mir zu geben.

Ich kann gerne ein bisschen von meinen Erfahrungen erzählen.


Ja, erzählen Sie ein bisschen.

Die Situation ist folgende: Die 88-jährige Mutter, die auf eigenen Wunsch nach dem Tod des Vaters alleine im Elternhaus lebt, mittlerweile seit vier Jahren, aber natürlich Unterstützung braucht. Das ist ein wichtiger Aspekt, glaube ich, dass man beleuchtet, welche Bedürfnisse sind bereit zu stellen. Und da würde ich die Situation so beschreiben:

Die Mutter ist jetzt in ihrer körperlichen und geistigen Verfasstheit, einfach ihrem Alter entsprechend zu sehen. Also 88 Jahre, da geht halt manches nicht mehr so wie mit 20.

Aber sie ist bewegungsfähig, kann sich selbstständig ankleiden, Toilette etc., das ist selbstständig möglich, aber es gibt trotzdem Grundbedürfnisse, die abzudecken sind:

Essen, warme Wohnung, vor allem aber auch Orientierung im Leben und im Tagesablauf.

Das ist eigentlich die Kernaufgabe, die ich bei der Betreuung sehe. Darum ist mir auch der Begriff „Pflege“ in diesem Zusammenhang gar nicht so sympathisch. Dieser klingt für mich zu medizinisch und zu professionell. Ich bin totaler Laie und versuche diese Bedürfnisse meiner Mutter zu identifizieren und bestmöglich abzudecken. Zweiter Aspekt: Es bin nicht nur ich, der das versucht, sondern wir sind ein ganzes Team und ich glaube, dass das sehr wichtig ist. Also eine Person alleine würde das wahrscheinlich nicht leisten können.


Sie haben ja Ihren Vater auch schon begleitet. Sie haben schon erwähnt,

dass Ihre Mutter verwitwet ist. Ist das auch eine Erfahrung, die Sie mitgenommen haben aus dieser ersten Pflege, dass man ein Netzwerk braucht? Können Sie uns dieses Netzwerk ein bisschen beschreiben, wie schaut das bei Ihnen aus? Wie koordinieren Sie das?

Ja, das ist ein sehr wesentlicher Lernprozess gewesen. Und das ist mit dem Vater ein bisschen schleichend entstanden. Der Vater war dement, schwer dement. Es ist so weit gekommen, dass er am Ende nicht mehr essen und schlucken hat können. Dies war ein Prozess, der sich über Jahre hinweg gezogen hat, den man ursprünglich gar nicht so wirklich wahrgenommen hat. Es ist so ein bisschen entstanden, bis wir uns dann klar waren: Okay, die Mutter wird das alleine nicht mehr bewältigen können. Und dann haben wir uns eben an professionelle Stellen gewandt, was da an Möglichkeiten besteht. Und so ist dieses Netzwerk dann entstanden. Ein ganz wesentlicher Ansprechpartner ist der Hausarzt gewesen. Auch jetzt im Fall der Mutter ist der Hausarzt ein ganz wesentlicher Partner, der sämtliche medizinischen Fragen beantwortet und unterstützend hilft, ja auch die Lebensgeschichte beider Elternteile gut gekannt hat. Wir sind in einer privilegierten Situation, dass dieser eben ein Hausarzt im wirklich idealen, klassischen Sinne ist, mit Hausbesuchen etc., der sich auch für die Patientenschicksale und Lebensverläufe interessiert. Das ist ein ganz wesentlicher Beitrag.

Sonst natürlich die Kernfamilie, also ich mit meinen Geschwistern und Schwägerinnen und Schwägern, die sozusagen den Kern bilden. Jetzt im Falle der Mutter die professionelle Hilfe durch den mobilen Betreuungsdienst der Caritas. Sie kommen montags bis freitags am Vormittag vorbei, sodass wir uns verlassen können, dass die Medikamente eingenommen sind, dass das Frühstück eingenommen ist und dass die Mutter auch aufsteht.


Ich glaube die Nachbarn spielen auch eine Rolle, oder?

Die Nachbarn spielen eine wesentliche Rolle, weil es oft einfach auch um Sicherheit geht für die Mutter. Wenn man alleine im Haus wohnt, braucht man irgendwelche Geländer im weiteren Sinne. Wenn sie nur bemerkt, dass das Auto des Nachbarn im Carport steht, dann strahlt dies für sie eine gewisse Sicherheit aus und sie nutzt das auch.

Es gibt Fälle, wenn sie am Abend ein bisschen irritiert ist “sie nennt das selber verwirrt“ ich würde sagen irritiert, da geht sie zum Nachbarn, klopft an und ersucht um Klarheit.


Also der soll ihr weiterhelfen?

Genau.


Und der macht das auch?

Das ist mit ihm auch vereinbart. Erstens ist er sehr, sehr zugänglich und umgänglich.

Er hat selber bereits seine Schwiegermutter versorgt. Für uns ist er sehr unterstützend tätig und ruft dann im nächsten Schritt uns an.


Sie sind ja von Beruf Techniker und ich nehme an, da sind Sie gewohnt, sehr logisch zu denken, sehr strukturiert zu denken, die Abläufe klar ineinander übergehend zu denken. Wie geht denn das, wenn man Pflege mit einem relativ großen Netzwerk, so wie Sie es beschrieben haben, jetzt koordiniert, führen Sie da Listen, haben Sie Einsatzpläne oder wie machen Sie das konkret?

Das ist in der Tat hilfreich gewesen in der Organisation des Netzwerkes dieses Personenkreises, die da mitwirken. Am Anfang haben wir uns eine gewisse Aufgabenteilung überlegt. Also ich bin irgendwo derjenige, bei dem die Fäden zusammenlaufen und derjenige, der die Schnittstelle zum Beispiel zu allen medizinischen Themen ist.

Das ist auch umgekehrt, glaube ich, sehr wichtig, dass der Arzt weiß, an wen er sich wenden muss. Das wäre in unserem Fall, wir sind fünf Kinder gewesen, wahrscheinlich ein bisschen verwirrend, wenn jedes Mal ein anderer dasteht. Das war klar geregelt.

Ja, und wir führen, also ich führe eine Liste, einen Wochenplan, wo erstens draufsteht, welche Medikamente einzunehmen sind. Die sind vorpräpariert in diesen Schatullen und die Einnahmen werden dann abgehakt in dieser Liste, damit sich auch Nachkommende orientieren können, ob das schon erledigt ist oder nicht.

Es stehen auch kleine Hinweise auf dieser Liste, zum Beispiel heute ist ein Friseurtermin, da wird die Mutter abgeholt um 14:00 Uhr oder ich verspäte mich am Abend und komme erst um 18:00 Uhr, weil ich vorher noch einen Termin habe.


Also ist das eine elektronische Liste?

Nein, das ist ein Zettel. Diesen drucke ich sonntags aus und hinterlege ihn auf der Kredenz in der Küche. Die Liste wird bedient vom mobilen Pflegedienst, von meiner Schwester, die auch regelmäßig vorbeikommt, von mir und allen Personen, die eben das Haus betreten.


Also Sie sind der Manager dieses Netzwerks?

So bezeichnen mich meine Geschwister auch.


Es muss ja jeder nach seinen Talenten eingesetzt werden und das scheint eher ihr Talent zu sein. Wie viel Pflegezeit entfällt denn auf Sie selbst?

Haben Sie selbst auch Aufgaben übernommen außer dem Management?

Ja schon, im Falle der Mutter ist es eben so, wie Sie sagten, die Talente spielen natürlich eine Rolle. Es spielt auch glaube ich, die Beziehung, die persönliche Beziehung eine wesentliche Rolle. Und im Falle meiner Mutter ist es – als Mutter-Sohn-Beziehung, noch dazu mit mir als Nachzügler – etwas speziell. Das hilft ihr und auch meinen Geschwistern, dass ich in vielen Punkten einfach „die Nummer Eins“ sozusagen bin, die dann vorgeschoben wird in der Klärung oder in der Besprechung von kritischen oder besonders herausfordernden Punkten. Vielleicht genieße ich auch eine gewisse Vorteilsposition als Mann bzw. als Sohn im Vergleich zu meinen Schwestern. Die Position zum Beispiel ich als Mann, also im Vergleich zu meinen Schwestern, das ist vielleicht ein bisschen über die historische, persönliche Entwicklung der Mutter so entstanden, dass man als Sohn vielleicht ein bisschen anders positioniert ist oder gesehen wird.


Da haben Sie ein Glück gehabt von der Generation?

So ungefähr.


Als sie kann von Ihnen auch leichter etwas annehmen?

Kann man das so sagen?

Ja, mit Sicherheit, auch weil wir ein bisschen ähnlich gestrickt sind. Sie haben die Logik zuerst angesprochen, meine Mutter ist auch ein sehr logischer Mensch.

Sie haben gefragt wie viele Stunden ich aufwende, das sind so in etwa 15 Stunden pro Woche.


Und Sie machen vor allem Wochenenddienste glaube ich, oder?

Also Sie sind für das Wochenende die Ansprechperson oder schauen vorbei?

Ja, wir haben das wirklich so ganz regelmäßig eingetaktet. Meine Zeiten sind dienstagabends, freitagabends und das Wochenende.


Wie lässt sich denn das mit Ihrer Familie, mit Ihrer Frau, mit Ihren Kindern vereinbaren?

Ja, das war in der Tat ein Punkt, den ich am Anfang gar nicht so richtig registriert oder wahrgenommen habe. Nämlich gerade was meine Frau anbelangt, dass diese Zeit, die für diese Betreuungsleistungen notwendig sind, natürlich anderswo fehlen und insbesondere natürlich auch in meiner Beziehung und meinem Umgang mit meiner Frau abgehen. Und es hat einer längeren Klärung bedurft, intensiv auch zum Teil, bis wir da sozusagen einen gemeinsamen Nenner gefunden haben. Wobei schon hilfreich war, dass meine Frau auch mit ähnlichen Fragestellungen konfrontiert war, von ihrer Elternseite her. Also das ist nicht unbekannt gewesen. Und für die Kinder ist es – ich habe jetzt zwei erwachsene Kinder, die mittlerweile selber eine Familie haben – etwas leichter, weil sie haben ihr eigenes Programm, bringen sich aber auch in diesem Netzwerk ein, weil zum Beispiel Enkelkinder etwas ganz Wichtiges sind.


Also für die Mutter sind jetzt die Enkel oder schon die Urenkel besonders wichtig?

Beide, ja.


Weil die emotionale einfach einen anderen Zugang hat?

Ja, das ist, wie wenn man Schalter umlegen würde. Ein sofortiger Themenwechsel und der Zugang zu Kindern ist etwas ganz anderes, wahrscheinlich als Mutter noch einmal ganz, ganz speziell.


Was kann denn Ihre Mutter gut annehmen und wo merken Sie, das kann sie vielleicht nicht so gut annehmen. Oder überschreitet man möglicherweise auch Grenzen, die sie nicht überschritten haben möchte?

Was gut funktioniert, sind sämtliche Kulturthemen. Die Mutter ist sehr kulturaffin, speziell, was die Musik anbelangt und das nutze ich auch ganz gezielt, um sie abzulenkenden von belastenden Themen. Sie ist ja von sich aus eher der Typus Mensch, der das Glas halbleer sieht und nicht halbvoll. Also das ist so ein bisschen die Herausforderung, dass man da Luft bekommt und somit ein bisschen ablenkend agieren muss.

Und das ist zum Beispiel so ein Themenblock, der sehr hilfreich ist, Kultur, Musik.

Wenn am Sonntagvormittag ein Konzert im Fernsehen ist, weiß ich, ich habe gewonnen, der Tag ist gerettet. Und wie schon angesprochen, Enkelkinder, Urenkelkinder spielen eine große Rolle und sind sehr hilfreich.


Was ist für Sie persönlich die größte Herausforderung? Sie haben jetzt schon ein paar Strategien angesprochen, die Sie einsetzen, also wo Sie offenbar schon auch reflektiert darüber haben, wie kann ich denn ein Thema auch lösen. Was ist denn die Herausforderung, die Sie am meisten beschäftigt?

In unserem Fall ist es sicher die Bewertung der Frage, ob diese Situation, dass die Mutter alleine im Haus ist, zulässig ist? Ist eventuell Fahrlässigkeit im Spiel? Kann man ihr das zumuten? Können wir uns das zumuten? Und das ist eigentlich tagesaktuell neu zu bewerten.


Das heißt, Ihre Mutter ist noch selbst geschäftsfähig, kann sich auch selbst entschieden?

Genau.


Und Sie müssen da jetzt abwägen, wie viel kann man ihr abnehmen oder noch zutrauen und wo sollte man etwas tun zu ihrer eigenen Sicherheit?

Ja genau, das ist ein richtiger Balanceakt. Wenn man zu viel wegnimmt, liefert man sozusagen den Beweis, dass die Mutter nicht mehr handlungsfähig wäre. Wenn man zu wenig tut, kann das in die umgekehrte Richtung ausschlagen und selbstverständlich muss man sich auch die Frage stellen: Ist hier jetzt Gefahr im Verzug? Könnte hier jetzt zum Beispiel der Herd einen Schaden anrichten, wenn er nicht abgeschaltet wird? Dann muss man auch gewisse technische Vorkehrungen treffen. Aber letztlich bleibt ein Restrisiko über, das man einschätzen muss.


Gesund betreuen, gesund bleiben. Wir reden heute mit Matthias Schmied MSC.

Er kommt aus Ebensee, pflegt seine 88-jährige Mutter zusammen mit einem Netzwerk aus Familie, aus Hausarzt, aus Nachbarn.

Herr Schmied, Pflege ist ja ein Projekt mit einem unbestimmten Ende. Man weiß nicht, wie lange das dauern wird. Sie haben gesagt, Pflege ist Ihnen fast zu viel, es geht bei Ihrer Mutter eigentlich noch um Betreuung aber es kann ja auch mal einmal Pfleg werden. Wie gehen Sie denn damit um, mit einem Projekt, dessen Abschluss man sozusagen zeitlich nicht voraussehen kann?

Das ist wirklich eine mentale Herausforderung für mich gewesen. Noch dazu, weil ich aus einem beruflichen Hintergrund komme, der ja genau das Gegenteil von dieser Leistung ist. Nämlich Dinge voraus zu planen, Dinge möglichst zu verhindern. Eintreten von Risiken abzuwenden etc. Hier habe ich lernen müssen, dass man fast in den Tag hineinleben muss und man sehr genau immer auf die Situation bezogen reagieren muss. Und das ist ein Lernprozess, der wahrscheinlich auch nie zu Ende ist. Eben auch mit dem Hintergrundwissen, man weiß das Ende eben nicht, wie sich das entwickelt.

Und wahrscheinlich ist es,“ wenn man es auf den Punkt bringe“ möchte, dass man im Prinzip darauf wartet, dass Ereignisse oder Umstände eintreten, die es dann für jedermann, sowohl für die zu betreuende Person als auch für die Betreuenden sofort offensichtlich macht, jetzt muss eine Änderung passieren. Sonst ist man ja eher bemüht oder sind wir eher bemüht, möglichst Gleichförmigkeit herrschen zu lassen. Jede Veränderung verursacht Reaktionen.


Also Irritationen auch vermeiden, damit einfach dieses System, das man jetzt doch etabliert hat, gut weiterläuft und Sicherheit vermittelt für alle?

Genau. Es ist ein sehr fragiles, labiles System, das irgendwie in Balance zu halten ist.


Fühlen Sie sich manchmal ein bisschen wie ein Jongleur?

Ja kann man sagen, fast wie ein Tanz auf dem Vulkan.


Ich hoffe, Sie sind Tänzer? (Lacht)

Nein überhaupt nicht. (Lacht)


Aber bleiben wir kurz bei diesem Balancethema. Eines der größten Themen für alle Menschen, die jemand anderen betreuen oder pflegen, besteht im Halten eines gewissen Gleichgewichts zwischen der Fürsorge für den zu Pflegenden und der Fürsorge für sich selbst. Noch dazu kann die Pflegesituation eine gewisse Zeit dauern. Wie schaffen Sie das für sich? Was ist Ihnen selbst wichtig, um auch quasi in Ihrer eigenen Kraft zu bleiben?

Dies muss man eben auch irgendwie in Balance bringen. Also auf der einen Seite braucht

es natürlich ganz klar Abgrenzungen, Abgrenzungsmöglichkeiten. Für mich ist es sehr wichtig, dass ich weiß, ich habe auch Montag, Mittwoch, Donnerstag, wo ich nur bei speziellen Ereignissen zum Einsatz komme und sonst sind das Tage, die ich frei gestalten kann. Wichtig ist es glaube ich auch, über die eigenen Motive, warum man diese Betreuung leistet, nachzudenken. Und da ist es sicherlich so, dass es wichtig ist, zu sehen oder wahrnehmen zu können, dass die Eltern sehr viel gegeben haben und ich daher auch bereit bin bzw. auch wieder etwas zurückgeben möchte.

Von diesem Aspekt absehend, habe ich noch ein Zweites entdeckt, eher ein uneigennütziges Motiv. Nämlich, dass diese Sorge oder Fürsorge für die Mutter auch in gewisser Weise eine Sorge für mich ist, nämlich dahingehend, weil ich unbedingt vermeiden möchte – ein psychosoziales, oder psychohygienisches Thema sozusagen, mir mal vorhalten zu müssen, ich hätte dieses oder jenes nicht getan, was in meinem Vermögen gestanden wäre.

Letztlich geht es ja in dieser Mutter-Sohn Beziehung, Eltern-Kind-Beziehung immer um Abschiednehmen in irgendeiner Weise. Und wenn dann der Abschied vollzogen ist, da möchte nicht haben, dass ich mir irgendwelche Vorwürfe machen müsste. Also das ist so ein bisschen ein uneigennütziger Aspekt auch.


Auch das ist das, was Sie ganz am Anfang gesagt haben, dass es doch stark um Beziehung geht, also dass wir da über Beziehung, Verbindung, Verbundenheit auch reden. Trotzdem bleibt die Frage, man sollte, um genau das leisten zu können, was Sie jetzt gerade gesagt haben, auf jeden Fall gesund bleiben. Machen Sie das speziell etwas für sich selbst?

Ja, ein gewisses Maß an sportlicher und körperlicher Betätigung ist für mich – das war schon zu Berufszeiten so, als ich wirklich stark engagiert war – ein wesentliches Thema.

Zeiten eben ganz bewusst mit der Familie zu verbringen, mit dem Partner zu verbringen, in meinem Fall auch mit den Enkelkindern zu verbringen.

Also das ist für mich auch eine ganz wesentliche Quelle, diese Analogie auch zu sehen

auf der einen Seite, Enkelkinder heranwachsen zu sehen und begleiten zu dürfen

und auf der anderen Seite die Eltern begleiten zu dürfen, wo halt das Vorzeichen blöderweise ein anderes ist, oder die Steigerung in der Zunahme der Fertigkeiten eben genau verkehrt herum verläuft. Und ich habe irgendwie festgestellt, Kindern gegenüber ist man glaube ich toleranter wie Eltern oder Erwachsenen gegenüber. Sozusagen, einem Kind sieht man schnell nach, dass es sich verletzend äußert oder etwas noch nicht kann. Während man einem älteren Menschen das eher nicht nachsieht, dass er/sie das jetzt nicht mehr kann oder dass er/sie jetzt aggressiv geworden oder verletzend geworden ist in irgendeiner Form.


Also Sie erleben beide Pole des Lebens und versuchen auch einen emotionalen Ausgleich für sich zu finden. Und den haben sie dann auch im Umgang mit den Enkelkindern, zum Beispiel wenn man Pflege gut regeln will, wenn man Pflege oder Betreuung gut machen möchte. Was würden Sie denn auch anderen empfehlen? Was sollte man da auf jeden Fall organisieren, welche Regeln festlegen?

Sich früh genug mit dieser Frage vielleicht auseinanderzusetzen. Dass das kommen könnte oder kommt und da vielleicht nicht die Eckpunkte zu übersehen. Damit meine ich, wie der Gesundheitszustand der Eltern ist, welche medizinische Betreuung brauchen sie, um sich dafür mehr zu interessieren, damit man gewisse Basiskenntnisse auch mitbringt oder auch zum Beispiel im Amtsumgang, Bank zum Beispiel, dass man das früh genug regelt, dass diese Geschäfte auch weiterlaufen können. Dies sind Punkte, die man vorausschauend regeln kann. Ansonsten ist es eher eine Kopfgeschichte und eben die Herausforderung, dass man sich auf das einlässt und akzeptiert, das ist nicht wirklich gut planbar.


Und man muss natürlich auch akzeptieren, dass die eigenen Lebenspläne da kurzfristig unterbrochen oder verändert werden?

Da sehe ich immer wieder die Analogie zu Kindern, auch wenn man Kinder großzieht oder betreut, ist es so, dass das ja vieles oft durchkreuzt wird. Da bestimmen ja oft die Kinder den Alltag oder den Tagesablauf. Man plant, dass man auf Urlaub fährt, dann wird das Kind krank, irgendetwas passiert immer. Und jetzt ist es halt so, dass wenn man auf Urlaub fahren möchte, bei der Mutter irgendetwas ist, dass es vielleicht zu einem Aufschub kommt oder man überhaupt absagen muss. Diese Analogie zu sehen, das finde ich hilfreich.


Herr Schmid, darf ich noch einen Punkt ansprechen, weil Sie Ihr großes Netzwerk beschrieben haben, mit dem Sie umgehen? Sie sind sehr strukturiert, Sie haben Pläne, es gibt Aufgaben, es ist möglichst viel geregelt. Sie haben auch schon gesagt,

in der Familiendynamik sind Sie es, der auch vorgeschoben wird, um mit der Mutter vielleicht schwierigere Dinge zu besprechen. Aber trotzdem ist so ein System konfliktanfällig, weil es unterschiedliche Rollen, Bedürfnisse oder Einschätzungen gibt, wie gut der oder die andere das alles macht. Wie lösen sich solche Konflikte auf?

Wie gehen Sie damit um?

Durch ein offenes Gespräch. In der Tat kommt es vor und zum Teil auch wie aus heiterem Himmel. Bei meinem Vater zum Beispiel war die Situation die, ob der Schrittmacher eingesetzt wird oder nicht. Wie geht man damit um, als sogar eine Ernährungssonde zur Diskussion gestanden ist, ob diese eingesetzt werden sollte. Wir haben uns da einfach sozusagen kollegial als Familie, als Kernfamilie ausgetauscht. Und wenn etwas in der Beobachtung der verschiedenen Positionen identifiziert wird, das man früh genug besprechen sollte oder wo jemand nicht mit kann, dann sind wir zum Glück so aufgestellt, dass wir das auch aufgreifen und nicht auf die lange Bank schieben und uns gut austauschen können. Das ist sehr hilfreich.


Sie pflegen also das frühzeitige Gespräch, bevor Konflikte eskalieren.

Sie sind ein Mensch, so nehme ich Sie jetzt wahr, der sich selbst sehr viel organisieren kann, der sich auch strukturiert um Unterstützung bemüht.

Gibt es etwas, wo Sie noch mehr Unterstützung brauchen könnten oder wo Ihnen möglicherweise Unterstützung auch gefehlt hat bisher?

Persönlich eher nicht, muss ich sagen. Aber das hat auch damit zu tun, weil ich eben sehr gute Kontakte immer schon gehabt habe. Es stellten sich auf einmal neue Fragen

Wie kommt man jetzt zur 24-Stunden-Pflege? Wie kommt man zum mobilen Betreuungsdienst? Diese Kontakte herauszufinden und zu organisieren ist mir nicht so schwergefallen. Ich glaube das Thema, das mich eher mehr beschäftigt hat, wie dieses Problem in der Öffentlichkeit, auf gesellschaftlicher Ebene gesehen wird. Dass das Thema noch nicht so im Mittelpunkt steht, aber ein sehr großer Prozentanteil der Bevölkerung von dem Thema betroffen ist. Das läuft hinter dem Vorhang oder versteckt und einfach so, weil man dies einfach tut. Das ist noch nicht ins Bewusstsein gerückt, dass es diese Herausforderung gibt, mit zunehmender Tendenz. Der Trend zeigt, wir werden alle älter, dass die Probleme eher größer werden und praktisch gesehen, was sich jetzt auch abzeichnet, ist der Beschäftigungsmangel in den Pflege- und Betreuungsberufen. Das führt zum Beispiel dazu, dass am Wochenende eben keine mobile Dienstleistung erbracht werden kann, einfach weil das Personal nicht zur Verfügung steht. Und wenn sich das prolongiert, eben auf der einen Seite nicht mehr Menschen einsteigen in diesen Beruf, auf der anderen Seite die Nachfrage ständig steigt, wird dies zu einem Problem führen und ob man das dann noch so handhaben kann, wie es jetzt eben gerade läuft, ist dann die Frage, man wird selber auch immer älter. Das wird man sehen.


Das heißt die Unterstützung der pflegenden Angehörigen wird möglicherweise auch noch viel wichtiger als bisher werden, damit man diese Pflege auch gut bewältigen kann oder die Betreuung.

Herr Schmied, ich danke Ihnen sehr.

Ich wünsche Ihnen und Ihrer Mutter und auch Ihrer Familie, die da zusammen

hilft, alles Gute.

Dankeschön, sehr gerne!

Unsere Podcasts

Zum Schwerpunkt „Gesund betreuen.Gesund bleiben“ haben wir fünf Podcasts entwickelt, in welchen Expertinnen sowie Betroffene einen Einblick geben, warum und wie man als pflegende Angehörige bzw. pflegender Angehöriger auf die eigene Gesundheit achten sollte.