Selbstfürsorge

Podcast „Gesund betreuen, gesund bleiben“ (Folge 2/5) zum Nachlesen

  • Frau Dr.in Christine Haiden im Gespräch mit
  • Frau Mag.a  Andrea Übleis, Klinische und Gesundheitspsychologin beim Amt der Oö. Landesregierung, Abt. Gesundheit

Gesund betreuen, gesund bleiben. Wir sprechen über das, was pflegende Angehörige interessiert mit Gästen, die wissen, was es heißt, daheim für einen anderen Menschen, der Hilfe braucht, da zu sein. Damit es diesem Menschen gut geht, muss es auch den pflegenden Angehörigen gut gehen. Herzlich willkommen, Andrea Übleis,

Sie sind mein Gast heute. Guten Tag!

Guten Tag!


Magistra Andrea Übleis ist Klinische und Gesundheitspsychologin und arbeitet in der Abteilung Gesundheit beim Amt der oberösterreichischen Landesregierung. Sie haben viel mit dem großen Thema der Gesundheit zu tun und es geht da auch immer um das Thema der Selbstfürsorge. Wie kann ich denn gut für mich selbst sorgen, damit ich auch für jemand anderen sorgen kann? Was ist das Geheimnis guter Selbstfürsorge?

Das Wichtigste ist, sich selbst auch wichtig zu nehmen, sich in den Fokus zu rücken und die eigenen Bedürfnisse, Wünsche und Ziele anzuerkennen. Bevor man mit der Pflegesituation beginnt, hat man Ziele bzw. das eigene Leben durchgeplant. Dann wird man ja häufig in die Situation reingeworfen und plötzlich sieht es anders aus. Die Ziele und Wünsche, die man dann noch hat, sollte man ernst nehmen. Sich daher als jemanden wahrzunehmen, der auch eigene Bedürfnisse hat und diese dann auch in weiterer Folge ernst zu nehmen. Dafür reicht meist eine kurze Zeit aus um sich selbst zu fragen, was man selbst gerade braucht oder was gerade nicht stimmig ist reicht zunächst schon, denn das ist schon Selbstfürsorge. Es passiert ja sehr häufig, gerade wenn man für andere da ist und sich um andere kümmert und sie pflegt, dass man den Fokus nur auf diese Person richtet und sich fragt „Was braucht sie“, „Was kann ich für sie tun“. Der Tag ist durchgetaktet mit Terminen, die die andere Person betreffen.


Könnte man das so sagen, dass es vielleicht gut ist, auch die eigene Person etwas abzugrenzen, zur Person, die man pflegt?

Schon auch, sicher. Wenn man jemanden pflegt, ist das eine typisch zwischenmenschliche Situation, wo man mitunter Emotionen des Anderen spürt. Der Tag ist mit vielen Tätigkeiten und Aufgaben gefüllt. Man sollte sich fragen, was kann ich für den anderen tun aber auch was kann ich leisten und was übersteigt vielleicht meine Grenzen! Da ist es ganz wichtig, wie zu Beginn erwähnt, dass man sich in den Fokus rückt, das wird aber auch nicht jeden Tag möglich sein. Es wird Tage geben, da ist man am Tun und am Funktionieren. Gerade zu Beginn einer Pflegetätigkeit sind Fragen wichtig wie „Wo bekomme ich Informationen her? Was braucht der Andere und was muss ich alles tun?“


Ist das eine der Hürden, die man überspringen muss, dass man einfach für sich selbst eine Zeit einplant und sich ganz bewusst macht, das brauche ich auch?

Ja, es ist eine große Hürde. Der Tag ist einfach oft durchgetaktet. Und wenn man dann das Wort Selbstfürsorge hört, denkt man sich „Ich nehme mir ein Wochenende frei!“ Oder einen Urlaub oder eben Auszeiten, die natürlich sehr wichtig sind. Man hat aber vielleicht keine Zeit und steckt sich das Ziel sehr hoch, aber so muss es nicht sein. Es ist sehr wertvoll, wenn man sich mal einen Urlaub nehmen kann und man sollte schauen, dass dies auch passiert auch wenn es mal nur ein Tag ist, den man sich freinehmen kann.

Selbstfürsorge fängt bereits da an, wo man sich kurz zurückzieht oder auch mal ein „To-do“ von der Liste streicht. Ein Beispiel: man ist bei einem Verein engagiert, wo man gerne hingeht und es einem auch guttut, aber vielleicht tut es mir heute mal nicht gut und ich streiche es aus meinem Kalender. Oder man lässt einfach mal einfach das Geschirr liegen und setzt sich in Ruhe hin und tut mal nichts. Auch das ist für viele eine Herausforderung, mal wirklich nichts zu tun, viele müssen das erst lernen. Aber es ist irrsinnig wichtig, denn genau diese Zeit braucht man, um eine Innenschau zu halten. Um sich zu fragen, was spürt sich in mir vielleicht nicht so gut an. Gerade auch bei Emotionen ist man oft geneigt, diese zu unterdrücken um weiterhin zu funktionieren. Aber genau in dieser Zeit der Ruhe kommen sie vielleicht auch raus um mich aufmerksam zu machen, da passt etwas nicht, da muss ich eventuell etwas ändern, auch wenn es dann vielleicht nicht möglich ist. Diese Mini-Auszeiten sind Selbstfürsorge!


Also Sie plädieren dafür, dass man sich die Selbstfürsorge sozusagen nicht als zusätzliches To-Do auf die Liste setzt, sondern dass man vielleicht zuerst schaut, was kann ich streichen, was kann ich weglassen, damit ich diese kleinen Freiräume bekomme, wo ich auch nachdenken kann, wo ich mich mal wieder wahrnehme, bin ich eigentlich jetzt schon wahnsinnig müde oder möchte ich mich gerne bewegen oder brauche ich Kontakte? Oder möchte ich gerne jetzt einmal ins Konzert oder irgendwo hingehen, wo ich etwas ganz anderes erlebe, wo ich die Welt ein bisschen tausche, sozusagen gegen die gewohnte?

Genau, sie haben das ganz gut zusammengefasst. Ich sehe es daher sogar als die Voraussetzung sich immer mal wieder kurze Zeiten zu nehmen um sich zu fragen „Was brauche ich denn? Was kann ich denn tun für mich?“ Damit ich dann in weiterer Folge die nächsten Schritte setzen kann. Man ist ja ohnehin im Alltag drinnen, in einem Kreislauf an Tätigkeiten, die ich tue, zu tun habe oder zu denen mich jemand beauftragt und der Fokus ist wieder woanders. Wenn man dann in dieser Schleife ist, dann kann es passieren, dass man es zu spät merkt, wenn schon zu viel ist und man bereits müde oder erledigt ist.

Es gibt natürlich auch weitere Hürden, zum Beispiel das soziale Umfeld. Was passiert mit dem Pflegebedürftigen zuhause? Wie kann ich Auszeiten in den Pflegealltag integrieren? Wenn man dann mal ins Konzert gehen möchte, muss man klar kommunizieren und sich fragen, was ist denn überhaupt möglich. Man kann jetzt nicht einfach so weggehen, es muss mit der anderen Person abgestimmt werden. Schlechtes Gewissen oder Schuldgefühle können dann auch ziemlich schnell auftreten, auch weil man es sich selbst nicht erlaubt. Und dafür ist wichtig, dass man es gut kommuniziert und nachfragt, ob es okay ist. Und in weiterer Folge auch trotzdem verbindlich ist es zum Beispiel, sich einmal im Monat die Zeit zu nehmen. Diese Absprachen sind wichtig! Und natürlich auch die Organisation, damit die zu pflegende Person versorgt ist. Hilfreich kann auch sein, sich einen Termin mit einem Freund auszumachen. Denn zu schnell kann es passieren, dass man es nicht so wichtig nimmt, denn den Pflegealltag ist man gewohnt, sich Zeit zu nehmen aber nicht.


Gesund betreiben, gesund bleiben. Wir sprechen heute mit Andrea Übleis. Sie ist Klinische und Gesundheitspsychologin in der Abteilung Gesundheit beim Amt der oö. Landesregierung. Wir haben sehr intensiv über das Thema Selbstfürsorge gesprochen. Was kann man denn tun? Um da nicht auf sich selbst zu vergessen als pflegende Angehörige? Vielleicht beleuchten wir ein paar Aspekte noch näher. Ein Punkt ist, dass sich durch die Pflege ja häufig auch die Rollen in der Familie verändern. Vor allem die Rollen zwischen der pflegenden Person und dem Menschen, der gepflegt wird. Worauf sollte man denn da achten, damit man da keinen Strudel oder in Rollenkonflikte in Massive hineinkommt?

Ich finde es ganz wichtig, dass man reflektiert, welche Rollen für einen stimmig sind. Oft kann es vorkommen, dass man erst spät bemerkt, dass man eine gewisse Rolle eingenommen hat wo zu viel an Verantwortung und Erwartung geheftet ist.

Ein Beispiel: es werden schon ältere Eltern gepflegt, einer der beiden ist an Alzheimer erkrankt, ist bedürftig und braucht auch viel Hilfe im Alltag. Dann kann es durchaus passieren, dass man diese Person dann „bemuttert“, ihr dann sagt, was sie noch tun kann oder eben nicht mehr tun kann/soll.

Dann ist es nur förderlich sich Zeit für sich zu nehmen und sich zu fragen ob das überhaupt stimmig ist. Man kann sich dann auch einen Blick von außen holen und auf Außenstehende hören, wenn z.B. jemand sagt „Du bemutterst deinen Vati aber jetzt schon sehr!“. Bei dem Beispiel kann es vorkommen, dass man der Person (dem Vater) bereits Kompetenzen abspricht, ihre Aufgaben abnimmt, die sie durchaus noch machen kann. Es ist sehr wertvoll sich diese Kompetenzen noch behalten zu können, die Person dann aufmerksam zu machen, was sie noch kann oder sie anleitet, sofern es noch möglich ist. Sie also in der Autonomie zu lassen. Außer bei fortgeschrittenem Alzheimer, da kann wirklich sein, dass Personen gewisse Tätigkeiten wirklich nicht mehr können und es kann dann zu gefährlichen Situationen kommen kann.


Wir haben vom Land Oberösterreich ja auch das Angebot der Stammtische für pflegende Angehörige und ich glaube, dort ist ja auch ein guter Ort, um genau solche Dinge zu reflektieren, um das auszutauschen und vielleicht auch ein Feedback von außen zu bekommen um wieder einen Schritt weiter zu gehen, gehen wir zu einem anderen Punkt: Sie haben es schon angesprochen Damit man auch für sich selbst etwas Zeit hat, braucht man auch ein Netzwerk. Das Netzwerk braucht man auch, damit man längere Pflegesituationen überhaupt gut überstehen kann.

Dann gibt es ja gerade in Familien auch Angehörige, die vielleicht auch mit pflegen wollen. Die muss man auch irgendwie integrieren. Wie baut man sich denn ein soziales Netzwerk gut auf?

Hier ist es wiederum wichtig, sich von Anfang an schon ein gutes Netzwerk aufzubauen. Sich auch bewusst zu machen, dass es auch andere Leute in der Familie gibt, vielleicht Geschwister die helfen könnten. Dass man nicht alleine ist und sich bewusst zu machen, dass Unterstützung ganz individuell aussehen kann.

Es muss nicht die typische Situation sein, dass jemand beim Pflegen mithilft, sondern Unterstützung heißt auch, dass man für sich selbst Auszeiten schaffen kann oder sich einen Freund zur Seite stellt, der einfach mal nur zuhört. Wie z. B. beim Stammtisch, sich einer Gruppe anzuschließen um sich auszutauschen oder dass man aus der Pflegesituation rauskommt. Dass man auch über andere Dinge reden kann, das können Freunde, Freundinnen sehr gut sein oder sich mit ihnen vorab auszumachen, dass man jetzt was ganz anderes tut. Auch fachliche Unterstützung, also jemanden zu Hilfe zu holen. Hier sich vorab zu fragen, welche Verantwortungen kann ich denn abgeben und welche Tätigkeiten übersteigen meine Grenzen.


Frau Magistra Übleis, Pflegesituationen sind natürlich auch mit belastenden Gefühlen, aber auch mit Konflikten verbunden. Gerade wenn man versucht, mehr Menschen einzubinden in die Pflege. Ein Tipp, wie geht man damit um?

Bei diesem Punkt ist es wichtig zu kommunizieren und ehrlich und authentisch zu sein. Das setzt voraus, dass man zuvor mit sich stimmig ist, zu sich ehrlich ist was wünsche ich mir und welche Kompetenzen betreffen mich und ruhig mal zugeben, wenn man sich etwas nicht zutraut. Der Alltag ist gewohnt, die Pflegetätigkeiten sind abgestimmt, alles hat sich eingespielt – da kann es passieren, dass zum Beispiel Familienangehörige, die helfen aber nicht jeden Tag da sind, eigene Bedürfnisse äußern oder sagen, was man besser machen kann. Das kann dann dazu führen, dass man gekränkt ist. Die Person hat aber nicht den Einblick den man selbst hat, wenn sie nicht jeden Tag da ist. Hier hilft es, der anderen Person zu vermitteln, wie es mir mit der Aussage geht oder die andere Person zu fragen, wie sie die Situation wahrnimmt. So ein Außenblick kann ja hilfreich sein.


Also je ehrlicher und je weniger aggressiv man das vermittelt, desto besser. Und wenn man schon ein bisschen ansteht, wenn man zu lange gewartet hat, dann ist natürlich auch die Gefahr, dass das irgendwie aggressiv herüberkommt. Und dann eher den Konflikt schlimmer macht, als besser.

Ja sie sprechen etwas ganz Wesentliches an. In der Kommunikation spielen nicht nur Dinge eine Rolle, die man sagt, sondern wie es der Andere versteht und was man mitschwingen lässt. Und da können viele Beziehungsaspekte drinnen sein. Ein Bespiel wieder: Eltern, die gepflegt werden müssen, es gibt mehrere Geschwister – alle haben eine andere Beziehung zu den Eltern und das schwingt in der Kommunikation häufig mit. Oder auch die Vergangenheit. Und sich das bewusst zu machen, dass manchmal ganz was anderes ankommt, was man eigentlich vermitteln wollte, hilft in der Kommunikation.

Ja, gerade das ist ein weites Feld, denke ich, mit den Geschwisterkonflikten, die es da gibt. Aber die Botschaft ist nicht anstehen lassen, sondern sich die Freiräume schaffen, damit man das wahrnimmt, damit man rechtzeitig auch steuernd eingreifen kann, bevor es eskaliert.


Wie viel Wissen über Krankheitsbilder braucht man denn auch, um gut pflegen zu können? Also ist es wichtig zu wissen, wie wird den der Krankheitsverlauf sein. Was ist auch typisch für ein Krankheitsbild?

Ich denke schon auch, dass es wichtig sein kann zu sehen welche Informationen ich in meinem Alltag brauchen kann, was hilft mir denn eigentlich konkret? Oft kann eine Information auch zu viel sein und Ängste schüren. Man hat ja sowieso oft schon Zukunftssorgen oder Ängste und wenn ich dann auch noch mit einem Krankheitsbild konfrontiert bin, wo man vielleicht nicht weiß wie die Zukunft aussieht, dann können manche Infos schon zu viel sein. Da ist es wichtig, mit den Ärzten zu sprechen und zu fragen, was brauche ich denn jetzt nicht wissen. Oder auch was kann ich konkret tun und da gezielt nachzufragen.


Es geht darum im Handeln zu bleiben. Also da auch eine Möglichkeit zu haben. Also selbst wenn man grundsätzlich weiß, wie kann denn das weitergehen ist ja nicht sicher, dass der Krankheitsverlauf wirklich so sein wird. Das heißt man versucht eher sozusagen den nächsten Schritt zu gehen, zu schauen, was wird denn als Nächstes kommen.

Das führt mich zu einer weiteren Frage weil wir ja am Anfang einer Pflegesituation häufig nicht wissen, wie lange das dauern wird. Also wir müssen uns ja da auf etwas einstellen, von dem wir nicht abschätzen können, wie lange es dauert. Was ist da hilfreich?

Sich zu fragen, wie kann ich mich absichern. Gegen Angst hilft Sicherheit, zu schauen, was kann ich noch tun, was ist möglich; Infos einzuholen, wie geht’s denn weiter? Aber trotzdem zu wissen, es wird weiter gehen; Vertrauen zu haben; sich Leute zu holen, die unterstützen; schon auch Gedanken zu machen, ob sich die Situation ändern kann, vielleicht auch schlimmer wird, was kann mir dann helfen, falls dies eintritt? Aber dann auch hier wieder nicht zu viel Gedanken zu machen, das ist zwar schwierig aber trotzdem wichtig um sich die Handlungskompetenz zu bewahren. Sich also nicht hineinsteigern, was alles passieren könnte und wie es enden könnte, sondern was kann ich im Alltag konkret noch tun, was ist machbar. Ein bisschen nach vorne zu denken aber nicht zu viel!


Ja genau, also alles was die Kräfte raubt so gut wie möglich vermeiden. Zum Schluss noch eine Frage Frau Mag. Übleis. Nehmen wir mal an, Sie kämen selbst in die Situation, für jemanden die Pflege zu übernehmen oder organisieren zu müssen aus Ihrem nahen Umfeld. Worauf würden Sie selbst als Psychologin besonders achten von Anfang an?

Also ich bin ein Mensch, der sich für alles eine Liste schreiben muss, meine To-do-Liste mit den Tätigkeiten und schaffe mir so ein Stück Sicherheit und Kontrolle. Ich frage mich, was sind die nächsten Schritte? Wohin soll ich mich mit gewissen Fragen wenden? Wo gibt es Anlaufstellen? Sozusagen einen sicheren Boden zu schaffen würde für mich am Anfang ganz wichtig sein. Und danach Schritt für Schritt zu planen, wie es weitergeht. Und ein Grundvertrauen haben, dass es ja dann doch gut geht.


Und dass man auch eine solche Situation gut schaffen kann und auch mit einer vielleicht sogar ganz persönlichen Zufriedenheit aus der Situation wieder herausgeht, weil man denkt, man hat dann doch für einen Angehörigen einen wichtigen Dienst erwiesen.

Ja, das stimmt.


Frau Magistra Übleis. Ich danke Ihnen sehr herzlich für das Gespräch.

Bitte gerne.

Unsere Podcasts

Zum Schwerpunkt „Gesund betreuen.Gesund bleiben“ haben wir fünf Podcasts entwickelt, in welchen Expertinnen sowie Betroffene einen Einblick geben, warum und wie man als pflegende Angehörige bzw. pflegender Angehöriger auf die eigene Gesundheit achten sollte.