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Gesund betreuen, gesund bleiben

Im Gespräch Frau Dr. Christine Haiden mit Frau Mag. Doris Kasberger, Pflegewissenschafterin, akad. geprüfte Lehrerin für Gesundheitsberufe, DGKS beim Amt der Oö. Landesregierung

Mag. Doris Kasberger:
"Achten Sie auf Ihre eigene Gesundheit – nehmen Sie Angebote der Hilfestellung an"

 

Podcast des Landes Oberösterreich, Abteilung Gesundheit zum Schwerpunkt „Gesund betreuen, gesund bleiben“

Im Gespräch Frau Dr. Christine Haiden mit Frag Mag. Doris Kasberger, Pflegewissenschafterin, akad. geprüfte Lehrerin für Gesundheitsberufe, DGKS beim Amt der Oö. Landesregierung.

 

Gesund betreuen, gesund bleiben. Wir sprechen über das, was pflegende Angehörige interessiert mit Gästen, die wissen, was es heißt, daheim für einen anderen Menschen, der Hilfe braucht, da zu sein.

Damit es diesem Menschen gut geht, muss es auch den pflegenden Angehörigen gut gehen.

Unser Gast heute ist Doris Kasberger,

herzlich willkommen.

Guten Tag,

Frau Kasberger, Sie sind beim Land Oberösterreich in der Abteilung Gesundheit

für die Stammtische, für pflegende Angehörige zuständig. Sie erstellen dort Angebote.

Diese gibt es schon in 68 Gemeinden in ganz Oberösterreich. Warum sollte ich mir als pflegende Angehörige überlegen, zu einem solchen Stammtisch zu kommen?

Was erwartet mich da?

Der Stammtisch für betreuende pflegende Angehörige stellt ein ganz niederschwelliges Angebot des Landes dar. Es ist ganz unkompliziert, dort hinzugehen. Er findet einmal im Monat für zwei Stunden statt, ist kostenlos, unverbindlich und anonym.

Es ist für die Teilnehmer/innen ganz wichtig zu wissen, dass es ein geschützter Rahmen ist, in dem sie auch ihre Sorgen und Ängste loswerden können. Wo alles an dem Ort bleibt, an dem es ausgesprochen wurde und nichts nach außen getragen wird.

Probleme auszusprechen, sich mit anderen beraten zu können, erleichtert natürlich.

Es ist eine Art psychosoziale Vorsorge.

Wir erleben in der Praxis immer wieder, dass Leute hinausgehen und sagen:

Es hat mir so gutgetan, auch wenn es nur zwei Stunden oder drei Stunden waren.

Es erleichtert einfach.

 

Dass diese Situation, die doch recht herausfordernd sein kann, zu pflegen, weil man für einen Menschen sorgt, weil man sehr viel organisieren muss, weil man auch für sich selbst ab und zu etwas Gutes tun soll, weil man da auch Ansprechpartnerinnen in gleicher Situation schätzt. Welche Themen erwarten mich denn bei einem solchen Stammtisch?

Wie geht denn das ungefähr?

Die Stammtische werden begleitet von diplomiertem Pflegepersonal. Es ist natürlich jeder Stammtisch ganz individuell, weil die Personen, die dort hinkommen, verschiedene Problematiken, verschiedene Krankheitsbilder haben und auch die Personen, die sie betreuen, ganz individuelle Probleme mit sich bringen.

Die Leitung spürt: „Was braucht meine Gruppe jetzt?“

Ob es jetzt wirklich um Beratung geht oder um Information, ob es spezielle Themen sind.

Es können natürlich Themen sein, die immer wieder mal vorkommen, wie zum Beispiel Vorsorgevollmacht, die ganz wichtig ist. Genauso wie oder wo kann ich Anträge stellen, woher bekomme ich Unterstützung? Eigentlich soll es ja immer um die psychosoziale Gesundheit der Betreuungspersonen gehen. Wie kann sich die betroffene Person auf sich selbst und auf ihre Gesundheit konzentrieren?

Ihre Aufgabe als zentrale Stelle im Land ist es ja auch, in diese Stammtische sozusagen Inputs zu geben. Auch immer ein bisschen am Radar zu haben.

Welche Themen sind denn gerade besonders wichtig? Wo könnten Informationen gebraucht werden? Was sollten wir weitergeben? Jetzt haben Sie gerade dieses Thema, das Fürsorge für sich selbst angesprochen, also auch dafür zu sorgen, dass es den Pflegenden gut geht.

Was kann man denn da anbieten? Was kann man denn pflegenden Angehörigen raten, damit sie gut für sich sorgen?

Es ist natürlich ganz schwierig, in einer Situation in der man ständige Präsenz beweisen muss, für sich selber zu sorgen. Ich denke, es ist das Wichtigste, dass einem selber bewusst ist, dass man auch auf die eigene Gesundheit achten muss. Man kommt in einen Hürdenlauf des Lebens hinein, weil man so viele Rollen begleiten muss. Wenn man die Rolle der Betreuungsperson hat, aber auch noch die des Lebenspartners oder die des Ehepartners, die Rolle der Mutter oder der Großmutter, wenn man selber noch berufstätig ist oder auch schon in einem Alter, in dem man vielleicht selber schon körperliche Gebrechen hat und nicht mehr alles so leisten kann.

Die eigenen Grenzen zu spüren, ist das Wichtigste. Wenn man spürt, jetzt geht es nicht mehr, dann ist man auch schneller bereit, etwas dagegen zu tun. Aber ganz wichtig ist es, wirklich zu planen. Wenn ich mir einen Plan mache und weiß, dieser Nachmittag oder auch diese kurze Auszeit gehört mir und ich nehme mir etwas vor, dann glaube ich, geht das besser.

Natürlich ist es auch für die psychosoziale Gesundheit gut, wenn ich mir Projekte und Unternehmungen vornehme, die mir einfach guttun, wo ich auf mich selber schaue, dass ich zum Beispiel sportliche Aktivitäten, die ich immer gemacht habe, Hobbys beibehalte, mich mit Freunden treffe. Wo sich nicht wieder irgendeine Problematik aufdrängt, wo es mir einfach selber gut geht. Da hilft oft ein Gespräch mit dem Nachbarn oder ein Kaffeeplausch mit der Freundin, der ich auch meine Ängste anvertrauen kann.

 

Ein Stammtisch ist so etwas wie eine Rückenstärkung, dass man das tatsächlich dann auch ernst nimmt und zumindest in kleinen Schritten umsetzt.

Der Stammtisch ist ein Fixpunkt, den sich die Angehörigen planen. Da gehen sie hinaus, die Zeit nehmen sie sich und man merkt, sie haben einen positiven Zugang dazu. Wir versuchen natürlich auch immer Themen anzusprechen, die ihnen guttun, die sie bewerkstelligen können.

Es kann genauso gut sein, dass eine Gruppe zum Beispiel ins Theater, in ein Kabarett oder in einen Film geht, gemeinsam irgendwelche sportlichen Aktivitäten macht. Zum Beispiel Eisstockschießen oder Rodeln gehen, es wird also wirklich ganz individuell darauf achtet, was kann diese Gruppe machen, was möchte sie machen?

Also etwas, dass man vielleicht alleine nicht so leicht macht, macht man in der Gruppe gerne. Eine Pflege hat auch sehr spezifische Herausforderungen. Je nach Erkrankung des Patienten, kann man in einem Stammtisch konkrete Tipps für die Pfleg von bestimmten Krankheitsbildern, die Angehörige haben, auch bekommen.

Genau. Die Stammtischleitung ist ja eine diplomierte Fachkraft. Die genau weiß, wie die Pflege auf bestimmte Krankheitsbilder abgestimmt werden muss. Wenn jetzt ein neuer Teilnehmer kommt, der zum Beispiel Informationen über das Krankheitsbild der Demenz braucht, die ja sehr viele Facetten hat, kann man natürlich genau auf diese Person eingehen und die Beratung in diese Richtung leiten.

Oder Kinästhetik wird auch ein Thema sein vermutlich?

Kinästhetik ist natürlich ein Thema, da sie unterstützt, wie bestimmte Bewegungsabläufe für den Pflegenden und auch für die die betreuende Person vereinfacht werden können.

Heute ist mein Gast Doris Kasberger. Sie ist beim Land Oberösterreich in der Abteilung Gesundheit für Stammtische der pflegende Angehörige zuständig. Wir haben schon ein paar Themen angesprochen, die bei solchen Stammtischen unterstützend wirken. Jetzt stellt sich die Frage: Wenn ich schon sehr eingespannt bin, dann muss ich mir auch noch diesen Abend für den Stammtisch freinehmen.

Was sollte ich denn da machen, damit das gut klappt?

Um mir eigene Freiräume schaffen zu können und auch Termine einhalten zu können, muss ich es mir natürlich organisieren. Und ich denke, als Pflegeperson ist es ganz wichtig, dass ich plane, vorausschauend plane, damit ich auch dann die Möglichkeit habe, wegzukommen.

Es ist ja wirklich so, dass gerade dann, wenn man weggehen möchte, vielleicht irgendein Problem auftaucht. Und wenn ich dann nicht weiß, dass ich Unterstützung von anderen Personen habe, dann werde ich es nicht schaffen, wegzugehen und auch gedanklich frei sein. Weil der ständige Präsenz, die man hat, auch wenn man außer Haus geht und weiß, der zu Betreuende ist von mir abhängig, schränkt mich einfach ein.

 

Was ist, wenn ich ein bisschen mehr Abstand brauche, wenn ich sage, jetzt reicht nicht mehr der eine Abend im Monat, jetzt muss ich einfach mal paar Tage weg? Haben Sie da auch ein Angebot für pflegende Angehörige?

Die Abteilung Gesundheit bietet zweimal im Jahr die Auszeit-Tage. Das sind Kurzurlaube für pflegende Angehörige, die als Verschnaufpause gesehen werden können. Diese Tage sind einfach eine Möglichkeit, eine kurze Zeit wegzukommen und aus dem Pflegealltag auszutreten.

Die Betreuungsperson ist dann in einer geselligen Runde mit Personen zusammen, die eine ähnliche Situation im häuslichen Umfeld erleben. Man kann sich austauschen und man kaann sich auch entspannen.

Und man hat ein Angebot, das man nicht selbst organisieren muss, sondern wo auch dafür gesorgt wird, dass es ein Programm gibt, das die Versorgung passt.

Wir sind vor Ort und betreuen die Personen. Sie haben auch die Möglichkeit eines psychosozialen Gesprächs zur eigenen Situation, das auch sehr gut angenommen wird.

Jetzt haben wir schon ein paar Mal dieses Thema gehabt. Es geht darum, dass man selbst auch gesund bleibt. Was man da tun kann. Ein sehr großes Thema ist, wie man in so einer Pflegesituation auch irgendwie mitten im Leben bleibt. Auch im Leben mit anderen Menschen. Es besteht ja tatsächlich die Gefahr, dass man auch vereinsamte

in einer solchen Pflegesituation. Wie kann man dem vorbeugen?

Die soziale Isolation ist eines der größten Themen, zum einen für den Pflegenden,

aber auch für die Betreuungsperson. Je mehr man sich auf die Pflege einlässt, desto weniger nimmt man natürlich teil am psychosozialen Leben außerhalb der vier Wände.

Man muss wirklich darauf achten, dass man mit Freunden und Bekannten, die sich oft aus Unwissenheit oder Unsicherheit nicht mehr so oft melden, den Kontakt aufrechterhält, dass man auch Hobbys und Freizeitaktivitäten wirklich noch durchführt.

Die Pflege macht ja auch müde und es ist wirklich oft so, dass man das bisschen Freizeit, das man dann noch hat, oft gar nicht mehr wirklich verplant, sondern vor Erschöpfung nichts mehr machen möchte. Dadurch erhöht sich aber die Gefahr immer mehr in die Spirale der Isolation hinein zu rutschen, ohne sich dessen bewusst zu sein.

Ein sehr großes Thema ist gerade bei älteren Angehörigen die Demenz. Das ist eine Art Volkskrankheit. So wird es immer wieder bezeichnet, die auch zunimmt. Wie können denn Stammtische Angehörige unterstützen, die einen an Demenz erkrankten Menschen zu Hause haben?

Am Stammtisch kann das Thema Demenz in allen Facetten beleuchten werden.

Es ist wichtig, Verständnis dafür aufzubringen, dass, wenn die kognitive Fähigkeit verloren geht, die Emotion beim Dementen immer mehr hervortritt.

Es kommt dann oft zu so skurrilen Situationen, wenn die Teilnehmer/innen zum Stammtisch kommen und solche Situationen beschreiben, dann ist das für andere zum Lachen.

Ja, aber alleine dadurch, wenn jemand etwas erzählt und man muss lachen und man kann mitlachen. Das entschärft die Situation für den Betroffenen.

 

Also man darf ruhig auch lachen?

Es wird darauf geachtet, dass es bei jedem Stammtisch etwas zu lachen gibt.

Ich kann zum Beispiel eine Situation erzählen, die ich selber erlebt habe mit einer dementen Angehörigen. Diese ist zur Polizei gegangen und hat mich angezeigt, dafür, dass ich in der Nacht immer mit ihrem Auto fahre. Es war für mich überhaupt nicht lustig, dass mich die Polizei angerufen und zu einem Gespräch gebeten hat. Aber wenn ich das den anderen Teilnehmern erzählt habe, dann haben sie natürlich lachen müssen. Selbstverständlich bin ich nie mit ihrem Auto gefahren.

Ja, ich glaube, man lernt ja dann auch beim Austausch wieder ein bisschen Distanz zu bekommen. Und ein bisschen Distanz braucht man auch, um Dinge einschätzen zu können und um nächste Schritte gehen zu können. Sie haben ja selbst Frau Kasberger, auch Ihren Vater gepflegt, zusammen mit einer 24 Stunden Betreuung. Ich nehme an, das war eine Zeit, wo sie auch einiges gelernt haben, vielleicht dann in der Distanz auch reflektiert haben. Fließt das irgendwo in Angebote ein, die Sie für pflegende Angehörige jetzt in Ihrer beruflichen Aufgabe schaffen?

Ja, ich denke schon. Etwas theoretisch erlebt zu haben oder zu wissen oder es auch persönlich erlebt zu haben, macht natürlich einen ganz großen Unterschied.

Ich habe schon gelernt, dass man Hilfe zulassen und annehmen muss. Eine 24 Stunden

Pflege, die ins häusliche Umfeld kommt, kommt natürlich auch in die Intimsphäre

der ganzen Familie und der der betroffenen Personen. Und die muss auch angenommen und eingeladen werden. Man muss sich darauf einlassen, weil die Pflegepersonen, die aus einer anderen Kultur in eine ungewisse Situation, in eine Familie kommen, müssen sich auch wohlfühlen in dieser Situation, damit sie auch die Arbeit bei uns gut machen können.

Also eine Pflegesituation, die sehr häufig vorkommt und die dann natürlich auch reflektiert wird bei den Stammtischen Wie kann man denn das bestmöglich organisieren? Die Pandemie, in der wir ja leider noch immer leben, hat auch für die Stammtische, die sie jetzt vom Land Oberösterreich in den 68 Gemeinden schon organisieren, Auswirkungen gehabt. Sie konnten zum Teil nicht stattfinden, weil keine Präsenz möglich war. Zum Teil haben sie auch digital stattgefunden. Ist das ja eine Überlegung, Stammtische in Zukunft auch digital anzubieten?

Ja, durch die Pandemie konnte natürlich Präsenz an den Stammtischen nicht geboten werden.

Es bestand dann die Möglichkeit, dass die Teilnehmer/innen telefonisch kontaktiert werden konnten oder auch in Einzelgesprächen oft bei Spaziergängen abgehalten wurden.

Für die Zukunft ist es natürlich so, dass wir uns daran orientieren oder daran denken, eventuell auch ein digitales Angebot zu schaffen. Es fehlt aber irgendwie der Zugang. Wie kommt man zu den pflegenden Angehörigen, die pflegenden Angehörigen sind ja in der Gesellschaft anonym und nicht in einer Gruppe, wo man hingehen und sie auch ansprechen kann.

Das ist die Schwierigkeit.

 

Das heißt, es ist noch immer eigentlich für pflegende Angehörige der einfachere Weg, sich zu erkundigen, wo in meiner Gemeinde oder in der Nachbargemeinde gibt es einen solchen Stammtisch, um einmal persönlich hinzugehen. Wenn es ein digitales Angebot gibt, hat man die Möglichkeit, informiert zu werden.

Zum Abschluss Sie sind jetzt auch schon sehr lange in diesem Bereich tätig, haben als eine, die für alle Stammtische zuständig ist, auch sehr viel Erfahrung, sehr viel Austausch mit den Stammtisch Leiterinnen, die es gibt. Was möchten Sie denn pflegenden Angehörigen besonders mitgeben?

Schauen Sie auf sich selber und auf Ihre eigene Gesundheit. Nutzen Sie jede mögliche Unterstützung, die es im Angebot gibt.

Das ist das Allerwichtigste, um tatsächlich auch gut für alle Beteiligten, für die, die pflegen und die, die gepflegt werden, durch diese Zeit zu kommen, die ja auch bereichernd sein kann.

Frau Kasberger ich danke Ihnen sehr herzlich.

Dankeschön!

MP3-Datei zum Herunterladen: Im Gespräch Frau Dr. Christine Haiden mit Frau Mag. Doris Kasberger, Pflegewissenschafterin, akad. geprüfte Lehrerin für Gesundheitsberufe, DGKS beim Amt der Oö. Landesregierung (31,16 MB)

 

Gesund betreuen, gesund bleiben

Im Gespräch Frau Dr. Christine Haiden mit Frau Mag. Andrea Übleis, Klinische und Gesundheitspsychologin beim Amt der Oö. Landesregierung, Abteilung Gesundheit

Mag. Andrea Übleis:
"Selbstfürsorge beginnt damit, sich selbst öfters in den Fokus zu rücken und wahrzunehmen, was man selbst gerade braucht."

 

Podcast des Landes Oberösterreich, Abteilung Gesundheit zum Schwerpunkt

„Gesund betreuen, gesund bleiben“

Im Gespräch Frau Dr.in Christine Haiden mit Frau Mag.a  Andrea Übleis, Klinische und Gesundheitspsychologin beim Amt der Oö. Landesregierung, Abt. Gesundheit:

Gesund betreuen, gesund bleiben. Wir sprechen über das, was pflegende Angehörige interessiert mit Gästen, die wissen, was es heißt, daheim für einen anderen Menschen, der Hilfe braucht, da zu sein.
Damit es diesem Menschen gut geht, muss es auch den pflegenden Angehörigen gut gehen.

Herzlich willkommen, Andrea Übleis,

Sie sind mein Gast heute. Guten Tag!

Guten Tag!

Magistra Andrea Übleis ist Klinische und Gesundheitspsychologin und arbeitet in der Abteilung Gesundheit beim Amt der oberösterreichischen Landesregierung. Sie haben viel mit dem großen Thema der Gesundheit zu tun und es geht da auch immer um das Thema der Selbstfürsorge. Wie kann ich denn gut für mich selbst sorgen, damit ich auch für jemand anderen sorgen kann? Was ist das Geheimnis guter Selbstfürsorge?

Das Wichtigste ist, sich selbst auch wichtig zu nehmen, sich in den Fokus zu rücken und die eigenen Bedürfnisse, Wünsche und Ziele anzuerkennen. Bevor man mit der Pflegesituation beginnt, hat man Ziele bzw. das eigene Leben durchgeplant. Dann wird man ja häufig in die Situation reingeworfen und plötzlich sieht es anders aus. Die Ziele und Wünsche, die man dann noch hat, sollte man ernst nehmen. Sich daher als jemanden wahrzunehmen, der auch eigene Bedürfnisse hat und diese dann auch in weiterer Folge ernst zu nehmen. Dafür reicht meist eine kurze Zeit aus um sich selbst zu fragen, was man selbst gerade braucht oder was gerade nicht stimmig ist reicht zunächst schon, denn das ist schon Selbstfürsorge. Es passiert ja sehr häufig, gerade wenn man für andere da ist und sich um andere kümmert und sie pflegt, dass man den Fokus nur auf diese Person richtet und sich fragt „Was braucht sie“, „Was kann ich für sie tun“. Der Tag ist durchgetaktet mit Terminen, die die andere Person betreffen.

Könnte man das so sagen, dass es vielleicht gut ist, auch die eigene Person etwas abzugrenzen, zur Person, die man pflegt.

Schon auch, sicher. Wenn man jemanden pflegt, ist das eine typisch zwischenmenschliche Situation, wo man mitunter Emotionen des Anderen spürt. Der Tag ist mit vielen Tätigkeiten und Aufgaben gefüllt. Man sollte sich fragen, was kann ich für den anderen tun aber auch was kann ich leisten und was übersteigt vielleicht meine Grenzen! Da ist es ganz wichtig, wie zu Beginn erwähnt, dass man sich in den Fokus rückt, das wird aber auch nicht jeden Tag möglich sein. Es wird Tage geben, da ist man am Tun und am Funktionieren. Gerade zu Beginn einer Pflegetätigkeit sind Fragen wichtig wie „Wo bekomme ich Informationen her? Was braucht der Andere und was muss ich alles tun?“

Ist das eine der Hürden, die man überspringen muss, dass man einfach für sich selbst eine Zeit einplant und sich ganz bewusst macht, das brauche ich auch?

Ja, es ist eine große Hürde. Der Tag ist einfach oft durchgetaktet. Und wenn man dann das Wort Selbstfürsorge hört, denkt man sich „Ich nehme mir ein Wochenende frei!“ Oder einen Urlaub oder eben Auszeiten, die natürlich sehr wichtig sind. Man hat aber vielleicht keine Zeit und steckt sich das Ziel sehr hoch, aber so muss es nicht sein. Es ist sehr wertvoll, wenn man sich mal einen Urlaub nehmen kann und man sollte schauen, dass dies auch passiert auch wenn es mal nur ein Tag ist, den man sich freinehmen kann.

Selbstfürsorge fängt bereits da an, wo man sich kurz zurückzieht oder auch mal ein „To-do“ von der Liste streicht. Ein Beispiel: man ist bei einem Verein engagiert, wo man gerne hingeht und es einem auch gut tut, aber vielleicht tut es mir heute mal nicht gut und ich streiche es aus meinem Kalender. Oder man lässt einfach mal einfach das Geschirr liegen und setzt sich in Ruhe hin und tut mal nichts.

Auch das ist für viele eine Herausforderung, mal wirklich nichts zu tun, viele müssen das erst lernen. Aber es ist irrsinnig wichtig, denn genau diese Zeit braucht man, um eine Innenschau zu halten. Um sich zu fragen, was spürt sich in mir vielleicht nicht so gut an. Gerade auch bei Emotionen ist man oft geneigt, diese zu unterdrücken um weiterhin zu funktionieren. Aber genau in dieser Zeit der Ruhe kommen sie vielleicht auch raus um mich aufmerksam zu machen, da passt etwas nicht, da muss ich eventuell etwas ändern, auch wenn es dann vielleicht nicht möglich ist. Diese Mini-Auszeiten sind Selbstfürsorge!

Also Sie plädieren dafür, dass man sich die Selbstfürsorge sozusagen nicht als zusätzliches To-Do auf die Liste setzt, sondern dass man vielleicht zuerst schaut, was kann ich streichen, was kann ich weglassen, damit ich diese kleinen Freiräume bekomme, wo ich auch nachdenken kann, wo ich mich mal wieder wahrnehme, bin ich eigentlich jetzt schon wahnsinnig müde oder möchte ich mich gerne bewegen oder brauche ich Kontakte? Oder möchte ich gerne jetzt einmal ins Konzert oder irgendwo hingehen, wo ich etwas ganz anderes erlebe, wo ich die Welt ein bisschen tausche, sozusagen gegen die gewohnte?

Genau, sie haben das ganz gut zusammengefasst. Ich sehe es daher sogar als die Voraussetzung sich immer mal wieder kurze Zeiten zu nehmen um sich zu fragen „Was brauche ich denn? Was kann ich denn tun für mich?“ Damit ich dann in weiterer Folge die nächsten Schritte setzen kann. Man ist ja ohnehin im Alltag drinnen, in einem Kreislauf an Tätigkeiten, die ich tue, zu tun habe oder zu denen mich jemand beauftragt und der Fokus ist wieder woanders. Wenn man dann in dieser Schleife ist, dann kann es passieren, dass man es zu spät merkt, wenn schon zu viel ist und man bereits müde oder erledigt ist.

Es gibt natürlich auch weitere Hürden, zum Beispiel das soziale Umfeld. Was passiert mit dem Pflegebedürftigen zuhause? Wie kann ich Auszeiten in den Pflegealltag integrieren? Wenn man dann mal ins Konzert gehen möchte, muss man klar kommunizieren und sich fragen, was ist denn überhaupt möglich. Man kann jetzt nicht einfach so weggehen, es muss mit der anderen Person abgestimmt werden. Schlechtes Gewissen oder Schuldgefühle können dann auch ziemlich schnell auftreten, auch weil man es sich selbst nicht erlaubt. Und dafür ist wichtig, dass man es gut kommuniziert und nachfragt, ob es okay ist. Und in weiterer Folge auch trotzdem verbindlich ist es zum Beispiel, sich einmal im Monat die Zeit zu nehmen. Diese Absprachen sind wichtig! Und natürlich auch die Organisation, damit die zu pflegende Person versorgt ist. Hilfreich kann auch sein, sich einen Termin mit einem Freund auszumachen. Denn zu schnell kann es passieren, dass man es nicht so wichtig nimmt, denn den Pflegealltag ist man gewohnt, sich Zeit zu nehmen aber nicht.

 

Gesund betreiben, gesund bleiben. Wir sprechen heute mit Andrea Übleis. Sie ist Klinische und Gesundheitspsychologin in der Abteilung Gesundheit beim Amt der oö. Landesregierung. Wir haben sehr intensiv über das Thema Selbstfürsorge gesprochen. Was kann man denn tun? Um da nicht auf sich selbst zu vergessen als pflegende Angehörige? Vielleicht beleuchten wir ein paar Aspekte noch näher. Ein Punkt ist, dass sich durch die Pflege ja häufig auch die Rollen in der Familie verändern. Vor allem die Rollen zwischen der pflegenden Person und dem Menschen, der gepflegt wird. Worauf sollte man denn da achten, damit man da keinen Strudel oder in Rollenkonflikte in Massive hineinkommt?

Ich finde es ganz wichtig, dass man reflektiert, welche Rollen für einen stimmig sind. Oft kann es vorkommen, dass man erst spät bemerkt, dass man eine gewisse Rolle eingenommen hat wo zu viel an Verantwortung und Erwartung geheftet ist.

Ein Beispiel: es werden schon ältere Eltern gepflegt, einer der beiden ist an Alzheimer erkrankt, ist bedürftig und braucht auch viel Hilfe im Alltag. Dann kann es durchaus passieren, dass man diese Person dann „bemuttert“, ihr dann sagt, was sie noch tun kann oder eben nicht mehr tun kann/soll.

Dann ist es nur förderlich sich Zeit für sich zu nehmen und sich zu fragen ob das überhaupt stimmig ist. Man kann sich dann auch einen Blick von außen holen und auf Außenstehende hören, wenn z.B. jemand sagt „Du bemutterst deinen Vati aber jetzt schon sehr!“. Bei dem Beispiel kann es vorkommen, dass man der Person (dem Vater) bereits Kompetenzen abspricht, ihr Aufgaben abnimmt, die sie durchaus noch machen kann. Es ist sehr wertvoll sich diese Kompetenzen noch behalten zu können, die Person dann aufmerksam zu machen, was sie noch kann oder sie anleitet, sofern es noch möglich ist. Sie also in der Autonomie zu lassen. Außer bei fortgeschrittenem Alzheimer, da kann wirklich sein, dass Personen gewisse Tätigkeiten wirklich nicht mehr können und es kann dann zu gefährlichen Situationen kommen kann.

Wir haben vom Land Oberösterreich ja auch das Angebot der Stammtische für pflegende Angehörige und ich glaube, dort ist ja auch ein guter Ort, um genau solche Dinge zu reflektieren, um das auszutauschen und vielleicht auch ein Feedback von außen zu bekommen um wieder einen Schritt weiter zu gehen, gehen wir zu einem anderen Punkt: Sie haben es schon angesprochen Damit man auch für sich selbst etwas Zeit hat, braucht man auch ein Netzwerk. Das Netzwerk braucht man auch, damit man längere Pflege Situationen überhaupt gut überstehen kann. Dann gibt es ja gerade in Familien auch Angehörige, die vielleicht auch mit pflegen wollen. Die muss man auch irgendwie integrieren. Wie baut man sich denn ein soziales Netzwerk gut auf?

Hier ist es wiederum wichtig, sich von Anfang an schon ein gutes Netzwerk aufzubauen. Sich auch bewusst zu machen, dass es auch andere Leute in der Familie gibt, vielleicht Geschwister die helfen könnten. Dass man nicht alleine ist und sich bewusst zu machen, dass Unterstützung ganz individuell aussehen kann.

Es muss nicht die typische Situation sein, dass jemand beim Pflegen mithilft, sondern Unterstützung heißt auch, dass man für sich selbst Auszeiten schaffen kann oder sich einen Freund zur Seite stellt, der einfach mal nur zuhört. Wie z. B. beim Stammtisch, sich einer Gruppe anzuschließen um sich auszutauschen oder dass man aus der Pflegesituation rauskommt. Dass man auch über andere Dinge reden kann, das können Freunde, Freundinnen sehr gut sein oder sich mit ihnen vorab auszumachen, dass man jetzt was ganz anderes tut. Auch fachliche Unterstützung, also jemanden zu Hilfe zu holen. Hier sich vorab zu fragen, welche Verantwortungen kann ich denn abgeben und welche Tätigkeiten übersteigen meine Grenzen.

 

Frau Magistra Übleis, Pflege Situationen sind natürlich auch mit belastenden Gefühlen, aber auch mit Konflikten verbunden. Gerade wenn man versucht, mehr Menschen einzubinden in die Pflege. Ein Tipp, wie geht man damit um?

Bei diesem Punkt ist es wichtig zu kommunizieren und ehrlich und authentisch zu sein. Das setzt voraus, dass man zuvor mit sich stimmig ist, zu sich ehrlich ist was wünsche ich mir und welche Kompetenzen betreffen mich und ruhig mal zugeben, wenn man sich etwas nicht zutraut. Der Alltag ist gewohnt, die Pflegetätigkeiten sind abgestimmt, alles hat sich eingespielt – da kann es passieren, dass zum Beispiel Familienangehörige, die helfen aber nicht jeden Tag da sind, eigene Bedürfnisse äußern oder sagen, was man besser machen kann. Das kann dann dazu führen, dass man gekränkt ist. Die Person hat aber nicht den Einblick den man selbst hat, wenn sie nicht jeden Tag da ist. Hier hilft es, der anderen Person zu vermitteln, wie es mir mit der Aussage geht oder die andere Person zu fragen, wie sie die Situation wahrnimmt. So ein Außenblick kann ja hilfreich sein.

Also je ehrlicher und je weniger aggressiv man das vermittelt, desto besser. Und wenn man schon bisserl ansteht, wenn man zu lange gewartet hat, dann ist natürlich auch die Gefahr, dass das irgendwie aggressiv herüberkommt. Und dann eher den Konflikt schlimmer macht, als besser.

Ja sie sprechen etwas ganz Wesentliches an. In der Kommunikation spielen nicht nur Dinge eine Rolle, die man sagt, sondern wie es der Andere versteht und was man mitschwingen lässt. Und da können viele Beziehungsaspekte drinnen sein. Ein Bespiel wieder: Eltern, die gepflegt werden müssen, es gibt mehrere Geschwister - alle haben eine andere Beziehung zu den Eltern und das schwingt in der Kommunikation häufig mit. Oder auch die Vergangenheit. Und sich das bewusst zu machen, dass manchmal ganz was anderes ankommt, was man eigentlich vermitteln wollte, hilft in der Kommunikation.

Ja, gerade das ist ein weites Feld, denke ich, mit den Geschwisterkonflikten, die es da gibt. Aber die Botschaft ist nicht anstehen lassen, sondern sich die Freiräume schaffen, damit man das wahrnimmt, damit man rechtzeitig auch steuernd eingreifen kann, bevor es eskaliert. Wie viel Wissen über Krankheitsbilder braucht man denn auch, um gut pflegen zu können? Also ist es wichtig zu wissen, wie wird den der Krankheitsverlauf sein. Was ist auch typisch für ein Krankheitsbild?

Ich denke schon auch, dass es wichtig sein kann zu sehen welche Informationen ich in meinem Alltag brauchen kann, was hilft mir denn eigentlich konkret? Oft kann eine Information auch zu viel sein und Ängste schüren. Man hat ja sowieso oft schon Zukunftssorgen oder Ängste und wenn ich dann auch noch mit einem Krankheitsbild konfrontiert bin, wo man vielleicht nicht weiß wie die Zukunft aussieht, dann können manche Infos schon zu viel sein. Da ist es wichtig, mit den Ärzten zu sprechen und zu fragen, was brauche ich denn jetzt nicht wissen. Oder auch was kann ich konkret tun und da gezielt nachzufragen. Es geht darum im Handeln zu bleiben.

 

Also da auch eine Möglichkeit zu haben. Also selbst wenn man  grundsätzlich weiß, wie kann denn das weitergehen ist ja nicht sicher, dass der Krankheitsverlauf wirklich so sein wird. Das heißt man versucht eher sozusagen den nächsten Schritt zu gehen, zu schauen, was wird denn als nächstes kommen. Das führt mich zu einer weiteren Frage weil wir ja am Anfang einer Pflegesituation häufig nicht wissen, wie lange das dauern wird. Also wir müssen uns ja da auf etwas einstellen, von dem wir nicht abschätzen können, wie lange es dauert. Was ist da hilfreich?

Sich zu fragen, wie kann ich mich absichern. Gegen Angst hilft Sicherheit, zu schauen, was kann ich noch tun, was ist möglich; Infos einzuholen, wie geht's denn weiter? Aber trotzdem zu wissen, es wird weiter gehen; Vertrauen zu haben; sich Leute zu holen, die unterstützen; schon auch Gedanken zu machen, ob sich die Situation ändern kann, vielleicht auch schlimmer wird, was kann mir dann helfen, falls dies eintritt? Aber dann auch hier wieder nicht zu viel Gedanken zu machen, das ist zwar schwierig aber trotzdem wichtig um sich die Handlungskompetenz zu bewahren. Sich also nicht hineinsteigern, was alles passieren könnte und wie es enden könnte, sondern was kann ich im Alltag konkret noch tun, was ist machbar. Ein bisschen nach vorne zu denken aber nicht zu viel!

Ja genau, also alles was die Kräfte raubt so gut wie möglich vermeiden. Zum Schluss noch eine Frage Frau Mag. Übleis. Nehmen wir mal an, Sie kämen selbst in die Situation, für jemanden die Pflege zu übernehmen oder organisieren zu müssen aus Ihrem nahen Umfeld. Worauf würden Sie selbst als Psychologin besonders achten von Anfang an.

Also ich bin ein Mensch, der sich für alles eine Liste schreiben muss, meine To-do-Liste mit den Tätigkeiten und schaffe mir so ein Stück Sicherheit und Kontrolle. Ich frage mich, was sind die nächsten Schritte? Wohin soll ich mich mit gewissen Fragen wenden? Wo gibt es Anlaufstellen? Sozusagen einen sicheren Boden zu schaffen würde für mich am Anfang ganz wichtig sein. Und danach Schritt für Schritt zu planen, wie es weitergeht. Und ein Grundvertrauen haben, dass es ja dann doch gut geht.

Und dass man auch eine solche Situation gut schaffen kann und auch mit einer vielleicht sogar ganz persönlichen Zufriedenheit aus der Situation wieder herausgeht, weil man denkt, man hat dann doch für einen Angehörigen einen wichtigen Dienst erwiesen.

Ja, das stimmt.

Frau Magistra Übleis. Ich danke Ihnen sehr herzlich für das Gespräch.

Bitte gerne.

MP3-Datei zum Herunterladen: Im Gespräch Frau Dr. Christine Haiden mit Frau Mag. Andrea Übleis, Klinische und Gesundheitspsychologin beim Amt der Oö. Landesregierung, Abteilung Gesundheit (45,41 MB)

 

Gesund betreuen, gesund bleiben

Im Gespräch Frau Dr. Christine Haiden mit Herrn Dipl. Ing. Matthias Schmied MSC., Pflegender Angehöriger

Dipl.Ing. Matthias Schmied MSC.:
"es braucht ein gutes Netzwerk um für andere zu sorgen"

 

Podcast des Landes Oberösterreich Abteilung Gesundheit zum Schwerpunkt „Gesund betreuen, gesund bleiben“

Im Gespräch sind Frau Drin. Christine Haiden mit Dipl. Ing. Matthias Schmied MSC.

Gesund betreuen, gesund bleiben. Wir sprechen über das, was pflegende Angehörige interessiert, mit Gästen, die wissen, was es heißt, daheim für einen anderen Menschen, der Hilfe braucht, da zu sein.

Damit es diesen Menschen gut geht, muss auch den pflegenden Angehörigen etwas Aufmerksamkeit gewidmet werden, es muss auch ihnen gut gehen.

Unser Gast heute ist Matthias Schmied.

Guten Tag, Herr Schmied!

Grüß Gott!

Herr Schmied, Sie sind als Entwickler in der Medizintechnik tätig. Sie sind beruflich selbstständig und Sie pflegen Ihre 88-jährige Mutter. Sie lebt alleine, aber im gleichen Ort wie Sie und doch nicht in unmittelbarer Nähe. Wie geht denn diese Pflege?

Diese Frage: „Wie geht diese Pflege?“ enthält für mich so ein bisschen das Nachfragen nach einem Rezept und da möchte ich gleich vorausschicken, das kann ich nicht liefern.

Und zwar warum nicht?

Weil ich glaube, diese Betreuungs-Pflegesituationen sind sehr individuell, unterschiedlich.

Es geht ja um Menschen und es geht um Beziehungen. Und die sind eben per se sehr individuell.

Insofern liegt es mir überhaupt nicht und liegt es mir sehr ferne, irgendwelche Ratschläge, Rezepturen oder sonstige Weisheiten von mir zu geben.

Ich kann gerne ein bisschen von meinen Erfahrungen erzählen.

Ja, erzählen Sie ein bisschen.

 

Die Situation ist folgende:

Die 88-jährige Mutter, die auf eigenen Wunsch nach dem Tod des Vaters alleine im Elternhaus lebt, mittlerweile seit vier Jahren, aber natürlich Unterstützung braucht.

Das ist ein wichtiger Aspekt, glaube ich, dass man beleuchtet, welche Bedürfnisse, welche Bedürftigkeiten bereit zu stellen sind. Und da würde ich die Situation so beschreiben:

Die Mutter ist jetzt in ihrer körperlichen und geistigen Verfasstheit, einfach ihrem Alter entsprechend zu sehen. Also 88 Jahre, da geht halt manches nicht mehr so wie mit 20.

Aber sie ist bewegungsfähig, kann sich selbstständig ankleiden, Toilette etc., das ist selbstständig möglich, aber es gibt trotzdem Grundbedürfnisse, die abzudecken sind:

Essen, warme Wohnung, vor allem aber auch Orientierung im Leben und im Tagesablauf.

Das ist eigentlich die Kernaufgabe, die ich bei der Betreuung sehe. Darum ist mir auch der Begriff „Pflege“ in diesem Zusammenhang gar nicht so sympathisch. Dieser klingt für mich zu medizinisch und zu professionell. Ich bin totaler Laie und versuche diese Bedürfnisse meiner Mutter zu identifizieren und bestmöglich abzudecken.

Zweiter Aspekt: Es bin nicht nur ich, der das versucht, sondern wir sind ein ganzes Team und ich glaube, dass das sehr wichtig ist. Also eine Person alleine würde das wahrscheinlich nicht leisten können.

Sie haben ja Ihren Vater auch schon begleitet. Sie haben schon erwähnt,

dass Ihre Mutter verwitwet ist. Ist das auch eine Erfahrung, die Sie mitgenommen haben aus dieser ersten Pflege, dass man ein Netzwerk braucht? Können Sie uns dieses Netzwerk ein bisschen beschreiben, wie schaut das bei Ihnen aus? Wie koordinieren Sie das?

Ja, das ist ein sehr wesentlicher Lernprozess gewesen. Und das ist mit dem Vater ein bisschen schleichend entstanden. Der Vater war dement, schwer dement. Es ist so weit gekommen, dass er am Ende nicht mehr essen und schlucken hat können. Dies war ein Prozess, der sich über Jahre hinweg gezogen hat, den man ursprünglich gar nicht so wirklich wahrgenommen hat.

Es ist so ein bisschen entstanden, bis wir uns dann klar waren: Okay, die Mutter wird das alleine nicht mehr bewältigen können. Und dann haben wir uns eben an professionelle Stellen gewandt, was da an Möglichkeiten besteht. Und so ist dieses Netzwerk dann entstanden.

Ein ganz wesentlicher Ansprechpartner ist der Hausarzt gewesen. Auch jetzt im Fall der Mutter ist der Hausarzt ein ganz wesentlicher Partner, der sämtliche medizinischen Fragen beantwortet und unterstützend hilft, ja auch die Lebensgeschichte beider Elternteile gut gekannt hat. Wir sind in einer privilegierten Situation, dass dieser eben ein Hausarzt im wirklich idealen, klassischen Sinne ist, mit Hausbesuchen etc., der sich auch für die Patientenschicksale und Lebensverläufe interessiert. Das ist ein ganz wesentlicher Beitrag.

Sonst natürlich die Kernfamilie, also ich mit meinen Geschwistern und Schwägerinnen und Schwägern, die sozusagen den Kern bilden. Jetzt im Falle der Mutter die professionelle Hilfe durch den mobilen Betreuungsdienst der Caritas. Sie kommen montags bis freitags am Vormittag vorbei, sodass wir uns verlassen können, dass die Medikamente eingenommen sind, dass das Frühstück eingenommen ist und dass die Mutter auch aufsteht.

 

Ich glaube die Nachbarn spielen auch eine Rolle, oder?

Die Nachbarn spielen eine wesentliche Rolle, weil es oft einfach auch um Sicherheit geht für die Mutter. Wenn man alleine im Haus wohnt, braucht man irgendwelche Geländer im weiteren Sinne. Wenn sie nur bemerkt, dass das Auto des Nachbarn im Carport steht, dann strahlt dies für sie eine gewisse Sicherheit aus und sie nutzt das auch.

Es gibt Fälle, wenn sie am Abend ein bisschen irritiert ist “sie nennt das selber verwirrt“ ich würde sagen irritiert, da geht sie zum Nachbarn, klopft an und ersucht um Klarheit.

Also der soll ihr weiterhelfen?

Genau.

Und der macht das auch?

Das ist mit ihm auch vereinbart. Erstens ist er sehr, sehr zugänglich und umgänglich.

Er hat selber bereits seine Schwiegermutter versorgt. Für uns ist er sehr unterstützend tätig und ruft dann im nächsten Schritt uns an.

Sie sind ja von Beruf Techniker und ich nehme an, da sind Sie gewohnt, sehr logisch zu denken, sehr strukturiert zu denken, die Abläufe klar ineinander übergehend zu denken. Wie geht denn das, wenn man Pflege mit einem relativ großen Netzwerk, so wie Sie es beschrieben haben, jetzt koordiniert, führen Sie da Listen, haben Sie Einsatzpläne oder wie machen Sie das konkret?

Das ist in der Tat hilfreich gewesen in der Organisation des Netzwerkes dieses Personenkreises, die da mitwirken. Am Anfang haben wir uns eine gewisse Aufgabenteilung überlegt.Aalso ich bin irgendwo derjenige, bei dem die Fäden zusammenlaufen und derjenige, der die Schnittstelle zum Beispiel zu allen medizinischen Themen ist.

Das ist auch umgekehrt, glaube ich, sehr wichtig, dass der Arzt weiß, an wen er sich wenden muss. Das wäre in unserem Fall, wir sind fünf Kinder gewesen, wahrscheinlich ein bisschen verwirrend, wenn jedes Mal ein anderer dasteht. Das war klar geregelt.

Ja, und wir führen, also ich führe eine Liste, einen Wochenplan, wo erstens draufsteht, welche Medikamente einzunehmen sind. Die sind vorpräpariert in diesen Schatullen und die Einnahmen werden dann abgehakt in dieser Liste, damit sich auch Nachkommende orientieren können, ob das schon erledigt ist oder nicht.

Es stehen auch kleine Hinweise auf dieser Liste, zum Beispiel heute ist ein Friseurtermin, da wird die Mutter abgeholt um 14:00 Uhr oder ich verspäte mich am Abend und komme erst um 18:00 Uhr, weil ich vorher noch einen Termin habe.

Also ist das eine elektronische Liste?

Nein, das ist ein Zettel. Diesen drucke ich sonntags aus und hinterlege ihn auf der Kredenz in der Küche. Die Liste wird bedient vom mobilen Pflegedienst, von meiner Schwester, die auch regelmäßig vorbeikommt, von mir und allen Personen, die eben das Haus betreten.

 

Also Sie sind der Manager diese Netzwerks?

So bezeichnen mich meine Geschwister auch.

Es muss ja jeder nach seinen Talenten eingesetzt werden und das scheint eher ihr Talent zu sein. Wie viel Pflegezeit entfällt denn auf Sie selbst?

Haben Sie selbst auch Aufgaben übernommen außer dem Management?

Ja schon, im Falle der Mutter ist es eben so, wie Sie sagten, die Talente spielen natürlich eine Rolle. Es spielt auch glaube ich, die Beziehung, die persönliche Beziehung eine wesentliche Rolle. Und im Falle meiner Mutter ist es eben Mutter-Sohn, noch dazu ich als Nachzügler eine spezielle Beziehung. Das hilft ihr und auch meinen Geschwistern, dass ich in vielen Punkten einfach „die Nummer Eins“ sozusagen bin, die dann vorgeschoben wird in der Klärung oder in der Besprechung von kritischen oder besonders herausfordernden Punkten. Vielleicht genieße ich auch eine gewisse Vorteilsposition als Mann bzw. als Sohn im Vergleich zu meinen Schwestern. Die Position zum Beispiel ich als Mann, also im Vergleich zu meinen Schwestern , das ist vielleicht ein bisschen über die historische, persönliche Entwicklung der Mutter so entstanden, dass man als Sohn vielleicht ein bisschen anders positioniert ist oder gesehen wird.

Da haben Sie ein Glück gehabt?

So ungefähr.

Als sie kann von Ihnen auch leichter etwas annehmen?

Kann man das so sagen?

Ja, mit Sicherheit, auch weil wir ein bisschen ähnlich gestrickt sind. Sie haben die Logik zuerst angesprochen, meine Mutter ist auch ein sehr logischer Mensch.

Sie haben gefragt wie viele Stunden ich aufwende, das sind so in etwa 15 Stunden pro Woche.

Und Sie machen vor allem Wochenenddienste glaube ich, oder?

Als Sie sind für das Wochenende die Ansprechperson oder schauen vorbei?

Ja, wir haben das wirklich so ganz regelmäßig eingetaktet. Meine Zeiten sind dienstagabends, freitagabends und das Wochenende.

 

Wie lässt sich denn das mit Ihrer Familie, mit Ihrer Frau, mit Ihren Kindern vereinbaren?

Ja, das war in der Tat ein Punkt, den ich am Anfang gar nicht so richtig registriert oder wahrgenommen habe. Nämlich gerade was meine Frau anbelangt, dass diese Zeit, die für diese Betreuungsleistungen notwendig sind, natürlich anderswo fehlen und insbesondere natürlich auch in meiner Beziehung und meinem Umgang mit meiner Frau abgehen. Und es hat einer längeren Klärung bedurft, intensiv auch zum Teil, bis wir da sozusagen einen gemeinsamen Nenner gefunden haben. Wobei schon hilfreich war, dass meine Frau auch mit ähnlichen Fragestellungen konfrontiert war, von ihrer Elternseite her. Also das ist nicht unbekannt gewesen. Und für die Kinder ist es - ich habe jetzt zwei erwachsene Kinder, die mittlerweile selber eine Familie haben - etwas leichter, weil sie haben ihr eigenes Programm, bringen sich aber auch in diesem Netzwerk ein, weil zum Beispiel Enkelkinder etwas ganz Wichtiges sind.

Also für die Mutter sind jetzt die Enkel oder schon die Urenkel besonders wichtig?

Weil die emotionale einfach einen anderen Zugang hat?

Ja, das ist, wie wenn man Schalter umlegen würde. Ein sofortiger Themenwechsel und der Zugang zu Kindern ist etwas ganz anderes, wahrscheinlich als Mutter noch einmal ganz, ganz speziell.

Was kann denn Ihre Mutter gut annehmen und wo merken Sie, das kann sie vielleicht nicht so gut annehmen. Oder überschreitet man möglicherweise auch Grenzen, die sie nicht überschritten haben möchte?

Was gut funktioniert, sind sämtliche Kulturthemen. Die Mutter ist sehr kulturaffin, speziell, was die Musik anbelangt und das nutze ich auch ganz gezielt, um sie abzulenkenden von belastenden Themen. Sie ist ja von sich aus eher der Typus Mensch, der das Glas halbleer sieht und nicht halbvoll. Also das ist so ein bisschen die Herausforderung, dass man da Luft bekommt und somit ein bisschen ablenkend agieren muss.

Und das ist zum Beispiel so ein Themenblock, der sehr hilfreich ist, Kultur, Musik.

Wenn am Sonntagvormittag ein Konzert im Fernsehen ist, weiß ich, ich habe gewonnen, der Tag ist gerettet. Und wie schon angesprochen, Enkelkinder, Urenkelkinder spielen eine große Rolle und sind sehr hilfreich.

Was ist für Sie persönlich die größte Herausforderung? Sie haben jetzt schon ein paar Strategien angesprochen, die Sie einsetzen, also wo Sie offenbar schon auch reflektiert darüber haben, wie kann ich denn ein Thema auch lösen. Was ist denn die Herausforderung, die Sie am meisten beschäftigt?

In unserem Fall ist es sicher die Bewertung der Frage ob diese Situation, dass die Mutter alleine im Haus ist, zulässig ist? Ist eventuell Fahrlässigkeit im Spiel? Kann man ihr das zumuten? Können wir uns das zumuten? Und das ist eigentlich tagesaktuell neu zu bewerten.

Das heißt, Ihre Mutter ist noch selbst geschäftsfähig, kann sich auch selbst entschieden?

Genau.

Und Sie müssen da jetzt abwägen, wie viel kann man ihr abnehmen oder noch zutrauen und wo sollte man etwas tun zu ihrer eigenen Sicherheit?

Ja genau, das ist ein richtiger Balanceakt. Wenn man zu viel wegnimmt, liefert man sozusagen den Beweis, dass die Mutter nicht mehr handlungsfähig wäre. Wenn man zu wenig tut, kann das in die umgekehrte Richtung ausschlagen und selbstverständlich muss man sich auch die Frage stellen: Ist hier jetzt Gefahr im Verzug?

Könnte hier jetzt zum Beispiel der Herd einen Schaden anrichten, wenn er nicht abgeschaltet wird?

Dann muss man auch gewisse technische Vorkehrungen treffen. Aber letztlich bleibt ein Restrisiko über, das man einschätzen muss.

Gesund betreuen, gesund bleiben. Wir reden heute mit Matthias Schmied MSC.

Er kommt aus Ebensee, pflegt seine 88-jährige Mutter zusammen mit einem Netzwerk aus Familie, aus Hausarzt, aus Nachbarn.

Herr Schmied, Pflege ist ja ein Projekt mit einem unbestimmten Ende. Man weiß nicht, wie lange das dauern wird. Sie haben gesagt, Pflege ist Ihnen fast zu viel, es geht bei Ihrer Mutter eigentlich noch um Betreuung aber es kann ja auch mal einmal Pfleg werden. Wie gehen Sie denn damit um, mit einem Projekt, dessen Abschluss man sozusagen zeitlich nicht voraussehen kann?

Das ist wirklich eine mentale Herausforderung für mich gewesen. Noch dazu, weil ich aus einem beruflichen Hintergrund komme, der ja genau das Gegenteil von dieser Leistung ist. Nämlich Dinge voraus zu planen, Dinge möglichst zu verhindern. Eintreten von Risiken abzuwenden etc. Hier habe ich lernen müssen, dass man fast in den Tag hineinleben muss und man sehr genau immer auf die Situation bezogen reagieren muss. Und das ist ein Lernprozess, der wahrscheinlich auch nie zu Ende ist. Eben auch mit dem Hintergrundwissen, man weiß das Ende eben nicht, wie sich das entwickelt.

Und wahrscheinlich ist es,“ wenn man es auf den Punkt bringe“ möchte, dass man im Prinzip darauf wartet, dass Ereignisse oder Umstände eintreten, die es dann für jedermann, sowohl für die zu betreuende Person als auch für die Betreuenden sofort offensichtlich macht, jetzt muss eine Änderung passieren. Sonst ist man ja eher bemüht oder sind wir eher bemüht, möglichst Gleichförmigkeit herrschen zu lassen. Jede Veränderung verursacht Reaktionen.

Also Irritationen auch vermeiden, damit einfach dieses System, das man jetzt doch etabliert hat, gut weiterläuft und Sicherheit vermittelt für alle?

Es ist ein sehr fragiles, labiles System, das irgendwie in Balance zu halten ist.

Fühlen Sie sich manchmal ein bisschen wie ein Jongleur?

Ja kann man sagen, fast wie ein Tanz auf dem Vulkan.

Ich hoffe, Sie sind Tänzer und es gelingt Ihnen auch gut?

Nein überhaupt nicht.

 

Aber bleiben wir kurz bei diesem Balancethema. Eines der größten Themen für alle Menschen, die jemand anderen betreuen oder pflegen, besteht im Halten eines gewissen Gleichgewichts zwischen der Fürsorge für den zu Pflegenden und der Fürsorge für sich selbst. Noch dazu kann die Pflegesituation eine gewisse Zeit dauern- Wie schaffen Sie das für sich?

Was ist Ihnen selbst wichtig, um auch quasi in Ihrer eigenen Kraft zu bleiben?

Dies muss man eben auch irgendwie in Balance bringen. Also auf der einen Seite braucht

es natürlich ganz klar Abgrenzungen, Abgrenzungsmöglichkeiten. Für mich ist es sehr wichtig, dass ich weiß, ich habe auch Montag, Mittwoch, Donnerstag, wo ich nur bei speziellen Ereignissen zum Einsatz komme und sonst sind das Tage, die ich frei gestalten kann. Wichtig ist es glaube ich auch, über die eigenen Motive, warum man diese Betreuung leistet, nachzudenken. Und da ist es sicherlich so, dass es wichtig ist, zu sehen oder wahrnehmen zu können, dass die Eltern sehr viel gegeben haben und ich daher auch bereit bin oder auch möchte, davon wieder etwas zurückzugeben.

Das ist, glaube ich, für die eigene Position herauszufinden, ganz wichtig und jetzt von diesem Aspekt absehend, habe ich noch ein Zweites entdeckt, eher ein uneigennütziges Motiv. Nämlich dass diese Sorge oder Fürsorge für die Mutter auch in gewisser Weise eine Sorge für mich ist, nämlich dahingehend, weil ich unbedingt vermeiden möchte-  ein psychosoziales, oder psychohygienisches Thema sozusagen,-  ich möchte mir nicht mal vorhalten müssen, ich hätte dieses oder jenes nicht getan, was in meinem Vermögen gestanden wäre.

Letztlich geht es ja in dieser Mutter-Sohn Beziehung, Eltern-Kind-Beziehung immer um Abschiednehmen in irgendeiner Weise. Und wenn dann der Abschied vollzogen ist, da möchte nicht haben, dass ich mir irgendwelche Vorwürfe machen müsste. Also das ist so ein bisschen ein uneigennütziger Aspekt auch.

Auch das ist das, was Sie ganz am Anfang gesagt haben, dass es doch stark um Beziehung geht, also dass wir da über Beziehung, Verbindung, Verbundenheit auch reden. Trotzdem bleibt die Frage, man sollte, um genau das leisten zu können, was Sie jetzt gerade gesagt haben, auf jeden Fall gesund bleiben.

Machen Sie das speziell etwas für sich selbst?

Ja, ein gewisses Maß an sportlicher und körperlicher Betätigung ist für mich - das war schon zu Berufszeiten so, als ich wirklich stark engagiert war - ein wesentliches Thema.

Zeiten eben ganz bewusst mit der Familie zu verbringen, mit dem Partner zu verbringen, in meinem Fall auch mit den Enkelkindern zu verbringen.

Also das ist für mich auch eine ganz wesentliche Quelle, diese Analogie auch zu sehen

auf der einen Seite, Enkelkinder heranwachsen zu sehen und begleiten zu dürfen

und auf der anderen Seite die Eltern begleiten zu dürfen, wo heute das Vorzeichen blöderweise

ein anderes ist, oder die Steigerung in der Zunahme der Wertigkeiten eben genau verkehrt herum verläuft. Und ich habe irgendwie festgestellt, Kindern gegenüber ist man glaube ich toleranter wie Eltern oder Erwachsenen gegenüber. Einem Kind sieht man schnell nach, dass es sich verletzend äußert oder etwas noch nicht kann. Während man einem älteren Menschen das eher nicht nachsieht, dass er/sie das jetzt nicht mehr kann oder dass er/sie jetzt aggressiv geworden oder verletzend geworden ist in irgendeiner Form.

 

Also Sie erleben beide Pole des Lebens und versuchen auch einen emotionalen Ausgleich für sich zu finden. Und den haben sie dann auch im Umgang mit den Enkelkindern, zum Beispiel wenn man Pflege gut regeln will, wenn man Pflege

oder Betreuung gut machen möchte. Was würden Sie denn auch anderen empfehlen?

Was sollte man da auf jeden Fall organisieren, welche Regeln festlegen?

Sich früh genug mit dieser Frage vielleicht auseinanderzusetzen. Dass das kommen könnte oder kommt und da vielleicht nicht die Eckpunkte zu übersehen. Damit meine ich, wie der Gesundheitszustand der Eltern ist, welche medizinische Betreuung brauchen sie, um sich dafür mehr zu interessieren, damit man gewisse Basiskenntnisse auch mitbringt oder auch zum Beispiel im Amtsumgang, Bank zum Beispiel, dass man das früh genug regelt, dass diese Geschäfte auch weiterlaufen können. Dies sind Punkte, die man vorausschauend regeln kann. Ansonsten ist es eher eine  Kopfgeschichte und eben die Herausforderung, dass man sich auf das einlässt und akzeptiert, das ist nicht wirklich gut planbar.

Und man muss natürlich auch akzeptieren, dass die eigenen Lebenspläne da kurzfristig unterbrochen oder verändert werden?

Da sehe ich immer wieder die Analogie zu Kindern, auch wenn man Kinder großzieht oder betreut, ist es so, dass das ja vieles oft durchkreuzt wird. Da bestimmen ja oft die Kinder den Alltag oder den Tagesablauf. Man plant, dass man auf Urlaub fährt, dann wird das Kind krank, irgendetwas passiert immer. Und jetzt ist es halt so, dass wenn man auf Urlaub fahren möchte, bei der Mutter irgendetwas ist, dass es vielleicht zu einem Aufschub kommt oder man überhaupt absagen muss. Diese Analogie zu sehen, das finde ich hilfreich.

Herr Schmid, darf ich noch einen Punkt ansprechen, weil Sie Ihr großes Netzwerk beschrieben haben, mit dem Sie umgehen? Sie sind sehr strukturiert, Sie haben Pläne, es gibt Aufgaben, es ist möglichst viel geregelt. Sie haben auch schon gesagt,

in der Familiendynamik sind Sie es, der auch vorgeschoben wird, um mit der Mutter vielleicht schwierigere Dinge zu besprechen. Aber trotzdem ist so ein System konfliktanfällig, weil es unterschiedliche Rollen, Bedürfnisse oder Einschätzungen gibt, wie gut der oder die andere das alles macht. Wie lösen sich solche Konflikte auf?

Wie gehen Sie damit um?

Durch ein offenes Gespräch. In der Tat kommt es vor und zum Teil auch wie aus heiterem Himmel. Bei meinem Vater zum Beispiel war die Situation die, ob der Schrittmacher eingesetzt wird oder nicht. Wie geht man damit um, als sogar eine Ernährungssonde zur Diskussion gestanden ist, ob diese eingesetzt werden sollte. Wir haben uns da einfach sozusagen kollegial als Familie, als Kernfamilie ausgetauscht. Und wenn etwas in der Beobachtung der verschiedenen Positionen identifiziert wird, das man früh genug besprechen sollte oder wo jemand nicht „mit kann“, dann sind wir zum Glück so aufgestellt, dass wir das auch aufgreifen und nicht auf die lange Bank schieben und uns gut austauschen können.

Das ist sehr hilfreich.

 

Sie pflegen also das frühzeitige Gespräch, bevor Konflikte eskalieren.

Sie sind ein Mensch, so nehme ich Sie jetzt wahr, der sich selbst sehr viel organisieren kann, der sich auch strukturiert um Unterstützung bemüht.

Gibt es etwas, wo Sie noch mehr Unterstützung brauchen könnten oder wo Ihnen möglicherweise Unterstützung auch gefehlt hat bisher?

Persönlich eher nicht, muss ich sagen. Aber das hat auch damit zu tun, weil ich eben sehr gute Kontakte immer schon gehabt habe. Es stellten sich auf einmal neue Fragen

Wie kommt man jetzt zur 24-Stunden-Pflege?

Wie kommt man zum mobilen Betreuungsdienst?

Diese Kontakte herauszufinden und zu organisieren ist mir nicht so schwer gefallen. Ich glaube das Thema, das mich eher mehr beschäftigt hat, wie dieses Problem in der Öffentlichkeit, auf gesellschaftlicher Ebene gesehen wird.  Dass das Thema noch nicht so im Mittelpunkt steht, aber ein sehr großer Prozentanteil der Bevölkerung von dem Thema betroffen ist.

Das läuft hinter dem Vorhang oder versteckt und einfach so, weil man dies einfach tut. Das ist noch nicht ins Bewusstsein gerückt, dass es diese Herausforderung gibt, mit zunehmender Tendenz.

Der Trend zeigt, wir werden alle älter, dass die Probleme eher größer werden und praktisch gesehen, was sich jetzt auch abzeichnet, ist der Beschäftigungsmangel in den Pflege- und Betreuungsberufen. Das führt zum Beispiel dazu, dass am Wochenende eben keine mobile Dienstleistung erbracht werden kann, einfach weil das Personal nicht zur Verfügung steht. Und wenn sich das prolongiert, eben auf der einen Seite nicht mehr Menschen einsteigen in diesen Beruf, auf der anderen Seite die Nachfrage ständig steigt, wird dies zu einem Problem führen und ob man das dann noch so handhaben kann, wie es jetzt eben gerade läuft, ist dann die Frage, man wird selber auch immer älter. Das wird man sehen.

Das heißt die Unterstützung der pflegenden Angehörigen wird möglicherweise auch noch viel wichtiger als bisher werden, damit man diese Pflege auch gut

bewältigen kann oder die Betreuung.

Herr Schmied, ich danke Ihnen sehr.

Ich wünsche Ihnen und Ihrer Mutter und auch Ihrer Familie, die da zusammen

hilft, alles Gute.

Dankeschön, sehr gerne!

MP3-Datei zum Herunterladen: Im Gespräch Frau Dr. Christine Haiden mit Herrn Dipl. Ing. Matthias Schmied MSC., Pflegender Angehöriger (50,12 MB)

 

Gesund betreuen, gesund bleiben

Im Gespräch Frau Dr. Christine Haiden mit Frau Pauline Gramer, DGKS, Stammtischleitung

Pauline Gramer, DGKS:
"Am wichtigsten sind der Austausch und die gegenseitige Wertschätzung"

 

Podcast des Landes Oberösterreich, Abteilung Gesundheit zum Schwerpunkt „Gesund betreuen, gesund bleiben“

Im Gespräch Frau Dr.in Christine Haiden mit Frau Pauline Gramer.

 

Gesund betreuen, gesund bleiben. Wir sprechen über das, was pflegende Angehörige interessiert, mit Gästen, die wissen, was es heißt, daheim für einen anderen Menschen, der Hilfe braucht, da zu sein.

Damit es diesem Menschen gut geht, muss es auch den pflegenden Angehörigen gut gehen.

Unser Gast heute ist Pauline Gramer.

Herzlich willkommen, guten Tag Frau Gramer.

Danke, Grüß Gott.

Frau Gramer, Sie leiten einen Stammtisch für pflegende Angehörige in Scharnstein Grünau. Sie sind selbst ausgebildete Gesundheits- und Krankenpflegerin.

Das ist auch eine Voraussetzung, damit man einen solchen Stammtisch leiten kann. Sie haben 2007 mit diesem Stammtisch begonnen.

Was kann ich mir denn erwarten, wenn ich zu Ihnen zu diesem Stammtisch komme?

Wenn man sich entschließt, zu einem Stammtisch zu gehen, erhofft man sich meistens Informationen. Diese bekommt man auf jeden Fall.

Der Austausch mit Gleichgesinnten ist ein ganz wichtiger Faktor.

Ganz wichtig ist es, dass die Anwesenden einen Einblick bekommen, wie andere Personen mit deren Problemen zurechtkommen. Welche Hilfsmaßnahmen gibt es? Am wichtigsten sind der Austausch und die gegenseitige Wertschätzung und dass man selbst merkt, dass die Hilfe, die man zu Hause für die Angehörigen leistet, einen hohen Wert hat.

Dieser Austausch wird einem vermittelt, weil man auch das Echo von den anderen und von Ihnen bekommt?

Dieser Austausch wird immer wichtiger, je länger man zum Stammtisch geht.

Somit entsteht ein bisschen das Zusammengehörigkeitsgefühl, das für den Menschen so wichtig ist.

Und es gibt wahrscheinlich Erfahrungen, die man nur verstehen kann, wenn man selbst auch diese Erfahrungen macht?

Genau.

 

Was sind denn diese wichtigsten Erfahrungen, die man macht?

Dass man eben Hilfsangebote in Anspruch nehmen kann, weil man ja oft als Angehöriger so in der Arbeit drinnen ist, dass man selber nicht die Zeit hat für diese langen Recherchen im Internet. Beim Stammtisch gibt es punktgenaue Problemlösungen. Dann trifft man meistens jemanden beim Stammtisch, der das gleiche Problem schon hatte oder sich über dieses Thema schon mehr erkundigt hat. Ich als Leitung weiß sehr viel über die verschiedenen Hilfsangebote und stehe den Teilnehmerinnen und Teilnehmern mit meinem Wissen gerne zur Verfügung.

Also Sie sind auch eine Informationsdrehscheibe sozusagen?

Wenn man so einen langen Zeitraum überblickt wie Sie, hat man natürlich auch einen großen Erfahrungsschatz schon angesammelt, was pflegende Angehörige brauchen.

Was ist aus Ihrer Sicht das Wichtigste, was man gerade am Anfang einer Pflege beachten sollte?

Dass man sich die Aufgaben aufteilt, dass man versucht, ein Netzwerk zu schaffen. Sich bewusst zu machen, welche Aufgaben man selbst erfüllen kann und dann nach Unterstützung von anderen Personen zu suchen, um verschiedene andere Aufgaben abzudecken.

Dass sich die Last auf mehrere Leute aufteilt, weil das Problem beginnt dann immer, wenn man glaubt, alles alleine machen zu müssen und man niemanden, auch nicht aus der Familie, um Hilfe fragen will.

Wenn man die Situation von außen betrachtet, wenn man sich verschiedene Meinungen anhört und wenn man jemanden fragt, wieso niemand geholfen hat, sind die Personen meistens verwundert und meinen, dass man auch nicht um Hilfe gefragt habe. Es ist oft so, dass man ein Problem bekommt mit sich selbst und sich einredet, dass man besonders, wenn man die Eltern oder die/den Partner/in pflegt, alles alleine schaffen muss. Das ist, so glaube ich, das größte Problem.

Das heißt, da geht es ein bisschen um die Rolle auch, dass man sich eher fast

als Managerin versteht in dieser Situation?

Man sollte sich als Ziel setzen, andere um Hilfe zu fragen und selbst wenn die ersten zwei Personen die Unterstützung ablehnen, sollte man nicht aufgeben und einfach die/den Dritte/n fragen.

Ich habe ein ganz nettes Beispiel: Beim Stammtisch habe ich eine junge Dame, die mit zwei anderen, ihre schwerkranke Schwester pflegt. Sie sagt, dass eine ihrer Schwestern das Pflegen überhaupt nicht gut kann und nicht macht. Aber immer, wenn etwas über Amtswege abzuklären ist, steht sie voll und ganz zur Verfügung, in diesem Bereich kann sie sich richtig gut entfalten. Und das ist genau der Punkt, um den es geht, auch bei der Pflege von Angehörigen.

Also je kleiner und konkreter die Aufgaben gestellt werden und je passgenauer, desto leichter findet man auch jemand, der das macht?

Genau.

 

Dass man nicht erst aus der Situation der Überforderung heraus diese Fragen stellt, weil da ist man möglicherweise schon ein bisschen ungeduldig oder auch ungehalten.

Genau und dass man bereits im Vorfeld besonders auf sich selbst schaut und wie man die Situation am besten managen kann.

Ausreichend schlafen ist wahrscheinlich auch sehr wichtig?

Das ist das Wichtigste. Das ist ein Satz, den ich sicher bei jedem Stammtisch sage: „Ihr müsst auf euch schauen und in der Nacht müsst ihr frei haben!“ Wenn man bereits in der Nacht fünf bis sechs Mal aufstehen muss, dann ist es wirklich an der Zeit, sich unbedingt Hilfe zu holen. Hier muss man sich dann verschiedene Optionen überlegen.

Weil sich der Energietank dann sehr schnell erschöpft?

Genau, wenn man Tag und Nacht nicht mehr zur Ruhe kommt, ist ein „Burnout“ vorprogrammiert.

Wenn ich jetzt zu Ihnen zum Stammtisch komme, hat so ein Stammtisch ein bestimmtes Ritual, wie dieser abläuft?

Ja, es gibt ein bestimmtes Ritual. Ich versuche immer, dass ich die Teilnehmer/innen bitte, pünktlich zu kommen. Sobald alle hier sind, stelle ich meistens eine Frage oder ob bereits jemand offene Fragen habe. Danach bitte ich sie, etwas über den letzten Monat zu erzählen.

Wie es ihnen ergangen ist oder ob sie irgendetwas Besonderes brauchen. Danach sollte jeder ein paar Sätze sagen, länger oder kürzer. Somit entsteht meistens die Dynamik zum „heutigen Stammtisch“. Meistens tauchen dann ganz spezielle Fragen auf. Wichtig ist auch, dass immer nur eine/r spricht. Dass es kein Austausch von zwei oder drei Personen ist, sondern sich eine volle Gemeinschaft ergibt. Nach ca. 2 Stunden beenden wir den Stammtisch.

Zum Schluss gibt es einen normalen Austausch oder die Teilnehmer/innen gehen nach Hause.

Wie viele Personen sind in der Regel bei einem Stammtisch?

Zwischen fünf und zehn.

Zwei Stunden hat man sozusagen gemeinsame Redezeit.

Wenn man das erste Mal hingeht, suchen die Pflegenden irgendetwas Konkretes?

Schaffen Sie sich auch einen Anlass, warum sie kommen wollen?

Meistens schon, erstens wollen sie sehen, welche Personen ebenfalls anwesend sind und wie ein Stammtisch abläuft. Bei mir am Stammtisch ist meistens die Demenz das große Thema, wo die Angehörigen selbst merken, dass sie viel vergessen und geistig nicht mehr so fit sind.

Oft fragen sie, wie man am besten mit dieser Situation umgehen soll.

 

Können Sie da am Stammtisch auch konkrete Informationen geben oder verweisen Sie eher weiter?

Ich verweise weiter, kann aber natürlich auch verschiedene Inputs, kleine Hinweise direkt geben, wie zum Beispiel Fragen über Demenzkranke, die Validation und andere Basics.  Diese bekommen sie meistens in Form einer Broschüre oder eines Zettels von einer Validationstrainerin. Diesen gebe ich gerne mit, damit die Teilnehmer/innen gleich etwas in der Hand haben, das sie sich sofort mit nach Hause nehmen können.

Also man möchte nicht theoretische Abhandlungen, sondern sehr konkrete Hilfe?

Genau.

Bieten Sie manchmal auch Expertengespräche oder Experteninputs an?

Ja. Ich habe bereits sehr viele verschiedene Personen eingeladen.

Zum Beispiel zu folgenden Themen: Validation, Kinästhetik, Testament und die Vorsorgevollmacht, Palliativ, Hospizpflege, Pflegehilfsmittel. In Gmunden ist der Sozialhilfeverband sehr stark vertreten, der viele Bereiche abdeckt. Ich habe bereits viele unterschiedliche Personengruppen mit Hilfsangeboten eingeladen. Besonders über die Gesunde Gemeinde schreibe ich dies gerne aus, damit auch Menschen kommen können, die unmittelbar einen Angehörigen zu Hause zu pflegen haben. Einige kommen einfach, weil sie Interesse haben, eventuell weil sie bereits etwas schwächer sind oder Hilfestellungen benötigen.

Also man kann an einem solchen Stammtisch sehr konkrete Informationen bekommen, man kann weiterführende Hinweise bekommen, aber man kann auch sehr persönlich reden, gerade wenn man in der kleinen Gruppe beisammen ist, wie Sie das geschildert haben.

Genau.

Haben da manche möglicherweise eine Sorge, dass das irgendwie weitererzählt wird und dass ich mich da nicht verlassen kann, dass das auch in der Gruppe bleibt?

Dazu existieren ganz klare Vorgabe des Landes Oberösterreich.

Da gibt es diese Broschüre, die bekommen alle neuen Stammtischteilnehmer/innen von mir ausgehändigt und darin ist aufgelistet, wie ein Stammtisch ablaufen muss. Dieses Angebot ist kostenlos, der wichtigste Punkt ist, dass alles, was am Stammtisch gesprochen wird, auch hier am Stammtisch bleibt

 

Gesund betreuen, gesund bleiben. Wir sprechen heute mit Pauline Gramer.

Sie leitet seit 15 Jahren schon einen Stammtisch für pflegende Angehörige in Scharnstein, Grünau. Frau Gramer, nach dieser langen Zeit, haben sich die Bedürfnisse von Angehörigen eigentlich auch verändert?

Ja, die Bedürfnisse haben sich in dem Sinne verändert, dass vor 15 Jahren, als der Stammtisch begonnen hat, der Großteil der Teilnehmer hauptsächlich Frauen waren. Diese standen nicht im Berufsleben, sondern organisierten den ganzen Haushalt und haben automatisch die Pflege übernommen. Jetzt kommen vermehrt Menschen, die im Arbeitsleben stehen. Dies ist eine sehr große Herausforderung, alles „unter einen Hut zu bringen.“

Ich kann mir vorstellen, dass Berufstätige vielleicht eher diese Managementqualitäten

mitbringen, die Sie angesprochen haben. Aber andererseits natürlich viel weniger

Zeit haben für die Pflege.

Viel weniger Zeit steht diesen zur Verfügung. Diese Tatsache müsste die Politik steuern und sich überlegen, wie in der Zukunft die Pflege der Pflegebedürftigen aufrechterhalten werden kann.

Sie haben in einem Vorgespräch gesagt, bei Ihnen am Land in Scharnstein sei es auch noch leicht, sich ein Netzwerk aufzubauen. Die Hilfsbereitschaft ist noch groß, die Leute kennen einander noch viel mehr. Jetzt sagen Sie, Sie meinen, es sollte auch mehr Angebote geben. Woran denken Sie hier, was könnte das sein?

Die Tagesbetreuung wäre ein ganz großer und wichtiger Schritt, sowie Kurzzeitpflegeplätze.

Dass diese unbürokratischer in Anspruch genommen werden können und besonders mehr Plätze zur Verfügung stehen. Am Land muss man teilweise schon Monate vorher einen Kurzzeitpflegeplatz beantragen, damit man zum Beispiel auf Urlaub oder auf Kur fahren kann. Tagesbetreuungsplätze wären extrem wichtig und auch die Kurzzeitpflege.

Wir haben zuerst schon davon gesprochen, dass man einem „Burnout“ vorbeugen sollte. Sie haben schon ein paar Dinge angesprochen, wenn wir das nochmal zusammenfassen wollen. Wenn wir gerade diesen Erschöpfungszustand hernehmen, der ja kommen kann, weil am Anfang einfach nicht vorhersehbar ist, wie lange eine Pflege dauern wird.

Wie kann man dem am besten vorbeugen, dass man gar nicht bis an den Rand der Erschöpfung oder darüber hinauskommt?

Das ist eine sehr schwierige Frage, weil die Menschen sehr verschieden sind.

Aber das Wichtigste ist, dass man von Anfang an für Hilfe offen ist und über bestehende Unterstützungsmöglichkeiten Bescheid weiß. Dies kann der Austausch mit Freunden oder bei Pflegestammtischen sein, Ansprechpartner beim Roten Kreuz usw. Wichtig ist es auch natürlich, dass man sich persönliche Freiräume schafft, wie zum Beispiel, dass man gezielt einen Urlaub plant oder sich bewusst einen Nachmittag Zeit nimmt.

 

Also diese kleinen Auszeiten im Alltag, wenn man das so nennen möchte. Wichtig ist auch die eigenen Signale der Überforderung ernst zu nehmen?

Oder wahrscheinlich, wenn man grantig ist, wenn man nicht mehr gut schläft zum Beispiel. Das ist einfach ernst zu nehmen.

Und dass man sich hauptsächlich mit Leuten umgibt, von denen man Wertschätzung bekommt, für das, was man macht.

Also geht es konkret um Anerkennung?

Ich bekomme beim Stammtisch oft gesagt, dass man hierbei eine gegenseitige Wertschätzung spürt, wenn andere Teilnehmer/innen sich Komplimente für gute Ratschläge machen.

Durch solches positives Feedback wird deren Energie wieder aufgeladen.

Jetzt gibt es in dieser Pflegesituation eine ganze Fülle von möglichen Konflikten, die auftreten können, weil man so stark gefordert ist. Weil man auch in seiner eigenen  Rolle so stark gefordert ist, weil die Pflegesituation unterschiedlich ist, sehr herausfordernd sein kann und dann hat man auch noch einen Familienkreis, einen Angehörigenkreis, Leute die mitreden, die vielleicht sogar gute Ratschläge haben, die man dann nicht so gut brauchen kann. Also da gibt es ja viele, viele Konfliktzonen. Und Konflikte können auch sehr belasten und das Pflegen schwer machen.

Können Sie da als Stammtisch unterstützend wirken?

Diese Konflikte waren meist vor der Pflege schon in der Familie. Sie treten nur erst durch die Pflege stärker hervor. Vielleicht weil man sich mehr austauschen muss und mehr Kommunikation oder Unterstützung braucht.

Aber Sie greifen das sozusagen eher nicht auf. Sondern sie versuchen wahrscheinlich eher weiter zu vermitteln, oder?

Genau, weil man kann sich doch nicht auf eine Seite schlagen, da ich nur eine Seite kenne.

Ich habe selbst bereits einmal bei der 24-h-Krisenhotline angerufen und ein fünfminutiges Gespräch geführt. Die Dame hat mir die Situation anders dargestellt. Hierbei hat sich wieder einmal erwiesen, dass es umso wichtiger ist, eine Situation auch von einer anderen Seite zu beleuchten. Darum verweise ich gerne zur weiteren Hilfe an Stellen, wo geschultes Personal berät.

Sie sind als Stammtischleiterin sozusagen eine Art Drehscheibe.

Genau.

 

Sie haben viele Erfahrungen gesammelt, Sie kennen viele Leute, Sie kennen viele Angebote, nicht nur in Scharnstein Grünau, sondern auch darüber hinaus und können weitervermitteln.

Wenn ich jetzt zu Ihnen komme möchte, zum Stammtisch in Scharnstein Grünau, wie erfahre ich überhaupt, wann dieser ist. Was muss ich tun, um zu kommen?

Also der Stammtisch ist einmal im Monat. In der Gemeindezeitung, die vier Mal erscheint, sind die Termine auf der Seite, die über die „Gesunde Gemeinde“ informiert, aufgelistet. Außerdem bekommt jeder, der bereits beim Stammtisch war, eine persönliche Einladung mittels Briefs. Auch bei den Hausärzten hänge ich die Einladung aus. Jedoch die meisten Interessenten/innen werden durch die Mundpropaganda überzeugt und von Personen, die bereits beim Stammtisch sind, mitgenommen.

So wird das wahrscheinlich bei vielen Stammtischen in Oberösterreich sein, dass man bei den Ärzten schauen kann, auf den Gemeinde-Websites schauen kann, dass man auch bei anderen pflegenden Angehörigen sich erkundigen kann, ob es ein Angebot gibt. Man kann auch aus einem Nachbarort kommen, nehme ich an.

Ja.

Man muss nicht im selben Ort wohnen?

Nein.

Aber es ist auf jeden Fall ein wichtiger Entlastungstreffpunkt, den man sich einmal

im Monat organisieren kann.

Frau Gramer, nach so vielen Jahren Arbeit und auch sehr viel persönlichem Einsatz,

der zwar abgegolten wird, aber ich denke wahrscheinlich auch nicht im Gesamtausmaß der Zeit, das Sie für diesen Stammtisch investieren -

Was ist denn für Sie eigentlich der schönste Erfolg Ihrer Arbeit?

Der schönste Erfolg meiner Arbeit besteht darin, dass mir immer wieder Menschen sagen, wie sinnvoll der Stammtisch für sie war. Kürzlich habe ich eine Frau getroffen, die bei mir vor zehn Jahren beim Stammtisch war. Diese hat mir erzählt, dass ihr der Stammtisch auch jetzt im Nachhinein für ihr eigenes Alter so hilft und dass sie so froh ist, dass sie das für ihre Mutter gemacht habe.

Das macht mich wirklich glücklich, dass die Teilnehmer/innen so viel Sinn in der Sache sehen, die sie geleistet haben. Für mich persönlich ist die Wertschätzung jedes Alters, die Betreuung von Älteren sowie von Kindern, ein ganz wichtiger Bestandteil meines Lebens.

Dass man sozusagen die Beziehungen bis zum Ende pflegt, im wahrsten Sinne des Wortes.

Immer wieder sind es die Beziehungen zu den Menschen, die dem Leben seinen Wert geben.

Danke Frau Gramer, das war ein sehr schönes Schlusswort.

Alles Gute wünsche ich Ihnen und danke für Ihre Arbeit am Stammtisch in Scharnstein Grünau.

Dankeschön.

MP3-Datei zum Herunterladen: Im Gespräch Frau Dr. Christine Haiden mit Frau Pauline Gramer, DGKS, Stammtischleitung (37,51 MB)

 

Gesund betreuen, gesund bleiben

Im Gespräch Frau Dr. Christine Haiden mit Frau Gerlinde Haidinger, DGKS, Pflegende Mutter

Gerlinde Haidinger:
"Die größte Herausforderung besteht darin, Fürsorge abzugeben um sich selber Freiräume zu schaffen."

 

Podcast des Landes Oberösterreich, Abteilung Gesundheit zum Schwerpunkt „Gesund betreuen, gesund bleiben“

Im Gespräch Frau Drin. Christine Haiden mit Frau Gerlinde Haidinger.

Gesund betreuen, gesund bleiben. Wir sprechen über das, was pflegende Angehörige interessiert, mit Gästen, die wissen, was es heißt, daheim für einen anderen Menschen, der Hilfe braucht, da zu sein.

Damit es diesem Menschen gut geht, muss es auch den pflegenden Angehörigen gut gehen.

Unser Gast heute ist Gerlinde Haidinger.

Herzlich willkommen. Einen schönen guten Tag!

Guten Tag!

Frau Haidinger, Ihre älteste Tochter Ursula ist 25 Jahre alt und sie ist nach Komplikationen nach der Geburt körperlich und geistig stark beeinträchtigt. Sie haben sie viele Jahre zu Hause betreut. Seit zwei Jahren wohnt sie immer von Donnerstag bis Montag in einem Wohnheim und Sie haben jetzt freie Wochenenden.

Wie verbringen Sie die am liebsten?

Also mit den verschiedensten Sachen, was man so nie machen hat können. Zum Beispiel in Ruhe einkaufen gehen, wandern, einfach Dinge, die ich mit meinem Mann nie machen konnte. Leider sind jetzt die Kinder jetzt schon erwachsen und wollen nicht mehr so mit.

Aber Sie versuchen alles, was Sie sozusagen aufgeschoben haben über die Jahre an gemeinsamen Unternehmungen, jetzt an den Wochenenden zu machen?

Ja genau. Oder einfach in Ruhe einmal nichts tun, fernsehen oder entspannt ein Buch lesen.

ganz selbstverständliche Dinge. Man konnte früher nicht einmal eine Zeitung neben Ursula lesen. Das genießt man dann, wenn man erst einmal in Ruhe was machen kann.

Weil Ihre Tochter einfach bei sehr vielen Dingen des Alltags Hilfe gebraucht hat oder auch Ihre Aufmerksamkeit?

Also eher die Aufmerksamkeit, weil sie einfach sehr aktiv ist, sich und irgendwelche Sachen holt oder Zeitungen zerreißt. Man muss sie ständig betreuen, beobachten und beschäftigen.

 

Das haben Sie aber doch viele, viele Jahre, Jahrzehnte gemacht und machen Sie jetzt auch noch die Hälfte der Woche?

Ja genau.

Aber es ist nicht mehr so intensiv, weil sie tagsüber in der Tageseinrichtung ist. Sie kommt dann eigentlich erst am Abend wieder nach Hause und in der Früh wird sie wieder abgeholt. Dadurch ist es nicht mehr so, dass der ganze Tag mit ihrer Betreuung verplant ist.

Gerade wenn man in der Betreuung so intensiv gefordert ist, noch dazu mit der Betreuung eines Kindes, ist es vielleicht doch gar nicht so einfach auch etwas Verantwortung abzugeben. Oder wie in Ihrem Fall, die Teilübersiedlung in ein Wohnheim zu akzeptieren, in die Wege zu leiten. Wie sind denn die Schritte bei Ihnen gegangen? Wie ist es denn so weit gekommen, dass Sie bereit dafür waren?

Ich glaube, dass ganz viele Konflikte innerhalb der Familie notwendig waren.

Eben durch die zwei anderen Kinder, die dann sozusagen ihre Rechte eingefordert haben und gesagt haben, sie möchten auch gerne einmal am Wochenende Freunde einladen und zum Beispiel in Ruhe feiern. Der Weg dahin ist sehr konfliktreich gewesen, würde ich sagen.

Oder man merkt, wenn man selber einmal krank ist, dass es dann nicht mehr möglich ist.

Außerdem wird man auch älter und man merkt, dass man nicht mehr so viel Energie hat.

Irgendwie geschieht diese Entscheidung eigentlich aus der Not heraus.

Also man schiebt es schon hinaus?

Ja sehr.

Wie lange haben Sie es denn hinausgeschoben?

Also es waren 23 Jahre.

Also doch sehr lange.

Stellte sich das schon als Frage, wie Ihre Tochter ein kleines Kind war, ob Sie sie zu Hause pflegen oder ob Sie eine Betreuungsreinrichtung für sie beantragen?

Nein, das war kein Thema, wie sie noch klein war.

Aber jetzt, wo sie älter geworden ist und eigentlich auch eine erwachsene Frau ist, die möglicherweise auch ihr eigenes Leben leben kann oder soll, ist das drängender für Sie geworden?

Ja ein bisschen vielleicht schon.

Aber das ist eher so im Hintergrund, sie hat ja nicht die Initiative dazu, obwohl jetzt im Nachhinein, wenn ich sie jetzt im Wohnheim beobachte, ist sie schon gerne auch unter jungen Leuten und einfach einmal in einer anderen Umgebung und nicht immer bei den Eltern daheim.

Hat es für Sie irgendein Ereignis, ein Erlebnis gegeben, das so eine Art Schlüsselerlebnis war, wo Sie sich dann ernsthaft mit der Frage auseinandergesetzt haben, die Sie zuerst etwas weggeschoben haben?

 

So ein direkt konkretes Ereignis hat es nicht gegeben. Es sind eher mehrere Erfahrungen gewesen. Auch in meinem Beruf, als ich in der Hauskrankenpflege tätig war, habe ich immer wieder Familien kennengelernt, bei denen z. B. der 80-jährige Vater mit seinem 50-jährigen, beeinträchtigten Sohn noch immer zusammen zu Hause wohnte.  Da habe ich für mich gemerkt habe, dass man diesen Zeitpunkt einfach nicht übersehe darf.

Oder wenn zu Hause immer wieder Ereignisse eintreten, wenn man selber krank ist oder wenn dann die Eltern zu betreuen sind und noch zusätzlich etwas dazu kommt, da merkt man es kann nicht ewig so weitergehen.

Wollten Sie da einfach auch etwas vorsorgen für die Zukunft nicht nur von Ihnen,

sondern auch von ihrer Tochter?

Ja auf alle Fälle.

Es ist mir bewusst geworden, wenn wir jetzt bereits etwas suchen wo sie integriert wird und es schön langsam geht, dass man sie begleiten kann in der Zeit und ich dann auch noch einen Einfluss habe, als wie wenn man noch lange wartet und es auf einmal nicht mehr möglich ist und man von einem auf den andere Tag etwas suchen muss. Das ist mir bewusst geworden und war mir dann sehr wichtig.

Sie haben eine sehr spezielle Situation, weil Ihre Tochter ja nur sehr beschränkt ausdrucksfähig ist und man lernen muss, wie sie sich ausdrückt. Und weil sehr, nahestehende pflegende Angehörige natürlich Ihre Tochter wahrscheinlich schon gut verstehen können. Ist das so oder war das eine Hürde, auch Pflege abzugeben, auch zu der Zeit, wie sie noch zu Hause war?

Ja, es war schon sehr schwierig.

Man muss sich sehr überwinden dazu, dass man sie einer Fremdperson so mehr oder weniger zutraut und die Betreuung an jemanden anderen abgibt. Es wird wahrscheinlich nie jemand so gut können, wie die eigenen Eltern oder die eigene Mama und man kann gewisse Dinge schon nonverbal beurteilen, was andere vielleicht länger oder gar nicht können.

Aber bei gewissen Dingen muss man Abstriche machen. Ich muss mich dann gedanklich etwas entfernen von den Überlegungen.

Ich denke, es wird ihr gut gehen.

Also Vertrauen in andere Personen aufbauen?

Ja genau.

Haben Sie zu der Zeit, als Ihre Tochter noch zu Hause war, öfter externe Unterstützung beansprucht?

Ja immer wieder.

Sowohl privat als auch über Organisationen z. B. Familienhelfer/innen.

 

Was hat sich da bewährt?

Wo sind Sie möglicherweise auch an Grenzen gestoßen?

Also bewährt haben sich besonders längere Betreuungen durch dieselben Betreuungspersonen. Das ist manchmal privat gelungen, dass jemand über mehrere Jahre bei uns war. Wir haben eine Studentin gehabt, die sehr fleißig war und sehr zuverlässig.

Bei Organisationen war es oft schwierig, da sich viele verschiedene Betreuungspersonen abgewechselt haben und wir als Eltern immer wieder die Einschulung machen mussten.

Für die Ursula war es natürlich auch schwierig, weil sie sich immer neu auf die Betreuungspersonen einstellen musste. Das war oft etwas mühsam.

Also da ist man dann gefordert, dass man nicht nur die Tochter betreut, sondern auch die Betreuungspersonen?

Genau, gerade der erste Besuch ist oft wirklich schwierig.

Sie haben zuerst im Einstieg schon gesagt, dass Sie viele Jahre kaum Freizeit gehabt

haben, weder mit Ihrem Mann noch mit ihren Kindern, also dass Sie wenig auch gemeinsam unternehmen konnten. Wie sehen Sie denn das im Nachhinein?

Im Nachhinein sagt man oft, man hätte ich vielleicht dieses oder jenes schon anders gesehen anders organisiert? Würden Sie Eltern, die in einer ähnlichen Situation wie Sie sind, einen Ratschlag geben, was Sie vielleicht frühzeitiger anders machen könnten?

Sehr schwierig.

Jedenfalls ist es sicher wichtig, dass man gemeinsame Zeit verbringt, aber hierbei ist man eben dann immer in einem Zwiespalt. Man möchte gerne mit der ganzen Familie etwas unternehmen, aber das ist eben nicht möglich. Wenn es dann möglich ist, dann hat man das Gefühl, es ist nicht die ganze Familie anwesend. Also man ist ständig in einem Zwiespalt. Aber was ich jetzt im Nachhinein ändern würde wäre, dass ich einen eigenen Bereich schaffen würde, entweder für die Ursula, also die beeinträchtigte Tochter oder für die zwei anderen Kinder.

Mit einem eigenen Bereich meinen Sie, dass man mit ihnen getrennt oder gemeinsam etwas unternehmen kann, jedoch jedem nach Möglichkeiten Freiraum gibt?

Ja genau, oder dass man vielleicht zu Hause getrennte Räumlichkeiten schafft oder

Aktivitäten außer Haus nachgeht, dass man sich dazu aufrafft und etwas unternimmt. Aber das ist sehr schwierig, wenn es überhaupt durchführbar ist.

 

Wie organisiert man sich das überhaupt? Sie haben jetzt schon die Geschwisterkinder angesprochen, also die zwei jüngeren Geschwister Ihrer Tochter Ursula.

Auch für sie ist das eine Herausforderung, eine solche Pflegesituation in der Familie zu haben. Wie konnten sie damit umgehen?

Ich würde sagen, als die Kinder noch jünger waren, war es leichter, weil die Situation ganz normal für sie war. Sie haben es auch nicht anders gekannt.

Erst wie sie in die Schule gekommen sind, haben sie gemerkt, dass es bei uns zu Hause nicht so ist, wie bei anderen Familien. Ich muss wirklich sagen, dass es schwieriger geworden ist mit der Zeit und es ist immer noch schwierig.

Das heißt, man sollte gerade, wenn die Geschwisterkinder älter werden, doch auch gut einen Blick auf sie haben und sie möglicherweise auch in irgendeiner Form begleiten oder beraten?

Ja, das wäre eigentlich notwendig. Das würde ich schon sehr wichtig finden. Leider hatte ich dazu kaum Zeit.

Die Frage, wo diese Geschwisterkinder hingehen könnten, um einen eigenen Raum zu haben. Das man ein solches Problem mit den Eltern gar nicht so gerne bespricht, das kann ich mir vorstellen.

Ich rede heute mit Gerlinde Haidinger, unser Podcast „Gesund betreuen

gesund bleiben“ beschäftigt sich mit der Frage, wie pflegende Angehörige gut für sich selbst sorgen können in dieser doch fordernden Situation.

Frau Haidinger betreut seit 25 Jahren ihre Tochter Ursula, die mehrfach körperlich und geistig beeinträchtigt ist nach Komplikationen bei der Geburt.

Frau Haidinger, das ist ja doch ein sehr, sehr langer Zeitraum, 25 Jahre.

Ich nehme an, dass Sie auch öfter an die Grenzen Ihrer Kräfte gestoßen?

Ja ganz sicher, öfters.

Also vor allem wenn die Ursula krank war oder wenn sie zum Beispiel epileptische Anfälle hatte oder wenn der Notarzt mitten in der Nacht vor dem Haus gestanden ist.

Also man stößt schon sehr an die Grenzen der eigenen Belastbarkeit.

Und wie sind Sie damit umgegangen?

Irgendwie vergeht dann wieder Zeit, man steht auf und es geht wieder weiter.

Also Sie haben versucht, das irgendwie auch auszuhalten?

Ja, würde ich sagen.

Man ist in einem Kreislauf drinnen, es ist einfach so und man hat gar nicht so richtig Zeit, um nachzudenken.

 

Sie haben schon gesagt, Sie hatten teilweise professionelle Helfer, teilweise auch aus dem Umfeld oder aus einem Netzwerk Unterstützung. Gab es da jemanden, der gesagt hat, Pass auf Gerlinde, jetzt musst du schauen, dass du das selbst noch aushältst?

Also eher von den Organisationen nicht, würde ich sagen. Sondern eher im Bekanntenkreis.

Haben Sie das ernst nehmen können damals?

Nein, nicht wirklich, denn man möchte das eigentlich gar nicht hören. Ich dachte mir, man kann ja die Situation nicht ändern. Von außen wirkt die Situation oft etwas einfacher, als sie wirklich ist. Es haben Menschen angemerkt wieso wir die Ursula nicht schon früher in ein Wohnheim oder in Betreuung gegeben haben. Von außen sieht man die Situation oft etwas anders, vielleicht auch manchmal richtiger.

Aber es ist dann oft gar nicht so hilfreich, je nachdem, wie man es gesagt bekommt

vermutlich?

Ja genau.

Sie haben aber dann trotzdem zehn Jahre lang eine therapeutische Begleitung für sich selbst in Anspruch genommen. Wie ist es dazu gekommen und was hat Ihnen das gebracht?

Eigentlich durch meine Situation, also die allergische Reaktion auf einen Bienenstich.

Ich war dann im Krankenhaus und dort haben sie erkannt, dass meine private Situation sehr schwierig ist. Schon wenn ich nur einen Tag im Krankenhaus bin, ist das ganz schwierig für mich. Sie haben das erkannt und mir dann eine Psychologin geschickt, die mir geraten hat, Beratungseinheiten zu nehmen. Und so bin ich dann dazu gekommen, da auch die ganze Familiensituation nicht so einfach war, habe ich dieses Angebot in Anspruch angenommen.

Das war psychologische Begleitung?

Ja.

Diese haben Sie einmal im Monat in Anspruch genommen oder wie kann man sich das vorstellen?

Am Anfang war es öfter und dann einmal im Monat.

Was hat Ihnen das gebracht? Was haben Sie mitnehmen können, was Ihnen Ihre Aufgabe leichter gemacht hat?

Vielleicht, dass man über gewisse Dinge nachdenkt. Wenn jetzt eine Fremdperson etwas sagt, kann man das besser annehmen als von einer Person aus dem Bekanntenkreis. Man kann die Situation an sich nicht ändern, aber man sollte sich bewusst machen, dass man auf sich selbst achten muss., Also für mich als Mama mir zu überlegen, was ich tun kann, was mir guttut. Dass man sich immer wieder neue Sachen die man bewusst macht.

Was haben Sie denn da gesucht und gefunden?

Also ich habe dann vor zehn Jahren angefangen ein Musikinstrument zu lernen. Ich würde jetzt sagen, der Anstoß war die psychologische Begleitung.

Welches Instrument ist es?

Das Cello.

Also gleich ordentlich zugegriffen worden wirklich?

Ja, das habe ich vorher nicht gewusst, dass das erlernen des Cellos so schwierig ist.

Aber das war für Sie sozusagen das Ergebnis der Suche, was könnte ich denn für mich selbst tun?

Ja, genau.

Also jetzt nur für mich selbst.

Dann sind Sie in die Musikschule gegangen, haben Musikstunden genommen, haben sich ein Cello gekauft? Sie müssen auch üben zu Hause, oder?

Ja, das ist dann der Effekt.

Dass man die Zeit findet zum Üben und vor allem, wenn man übt, dass man nicht das ganze Haus stört.

Ich stelle mir das jetzt so vor. Wenn man mit einem Instrument sehr intensiv beschäftigt ist und mit Musik intensiv beschäftigt, dann ist der Alltag einfach weg,

weil man sich auf etwas anderes konzentrieren muss.

Ja, also das ist wirklich so. Wenn man sich so intensiv darauf konzentriert, dadurch hat man im Kopf sozusagen Auszeiten.

Wo man einfach tatsächlich Gedanklich weg ist.  Was Sie ja schon angedeutet haben, dass das nicht so leicht ist in der Gesamtheit?

Ja, genau.

Sie haben jetzt sozusagen ein neues Leben, ein etwas anderes Leben.

Ihre Tochter ist jetzt die halbe Woche in diesem Wohnheim. Ist daran gedacht, dass das noch ausgeweitet wird, dass sie eines Tages ganz übersiedeln wird?

Ja, also das ist auf alle Fälle der Plan, dass sie irgendwann einmal die ganz Woche dort ist.

 

Und das ist auch für Sie ein Abgeben von Verantwortung? Vielleicht ein bisschen

auch ein Abgeben von Kontrolle?

Ja, auf alle Fälle, weil gewisse Dinge will man sich dann vorbehalten oder selbst übernehmen. Sie wirklich mit allem „Drum und Dran“ abgeben, das ist dann noch einmal ein nächster Schritt.

Das ist das, was Kinder, die keine Beeinträchtigung haben, einem abnehmen, weil sie es einfach tun und gar nicht mehr fragen, ob die Mama da noch mitreden darf oder nicht. Und im Fall der Ursula ist man verführt sozusagen, das auf ewige Zeiten immer kontrollieren oder mitreden zu wollen?

Der Unterschied zu den anderen Kindern ist, dass sie klar und deutlich sagen, das mache ich jetzt so und wenn du es mir ausredest, ist mir das egal. Die Ursula kann das oft nicht so bzw. kann es eigentlich nicht verbalisieren. Das Gespür zu haben, was will sie oder was braucht sie, ist für andere dann oft nicht so einfach. Dies ist oft das Problem, als Mama glaubt man genau zu wissen was gebraucht wird und das dies andere nicht spüren, was Ursula gerade benötigt.

Frau Haidinger, Sie sind da jetzt einen langen Weg gegangen. Sie haben sehr,

sehr viel Zeit, sehr viel Energie investiert in die Betreuung Ihrer Tochter.

Sie haben wie Sie jetzt eindrücklich geschildert haben, danach gelernt,

etwas abzugeben, Verantwortung abzugeben, etwas besser auf sich selbst zu schauen, etwas zu tun, das Ihnen Freude macht. Sie können jetzt auch die Zeiten,

die Sie als Familie zum Wochenende mit Ihrem Mann und auch mit Ihren

erwachsenen Kindern gemeinsam haben besser genießen und auch tatsächlich

als eine Bereicherung Ihres Lebens sehen. Sie haben jetzt sozusagen ein neues Leben. Was gefällt Ihnen dran am besten?

Dass man einfach am Wochenende ein irrsinniges Freiheitsgefühl hat.

Ich weiß nicht, wie man das beschreiben soll. Es ist unglaublich. Also jetzt nicht denken zu müssen, um welche Zeit kommt sie heim oder man hat nur noch ein paar Stunden zur Verfügung, in denen man etwas machen kann, weil dann kommt die Ursula und dann geht nichts mehr.

Einfach ein ganzer Tag, an dem man Freiheit hat.

Sie können halbwegs sicher sein, dass Ihre Tochter gut betreut ist und Ihnen geht es auch besser.

Ich wünsche Ihnen

alles Gute für die Zukunft.

Danke für das Gespräch, Frau Haidinger!

Ich sage auch danke für das Gespräch!

MP3-Datei zum Herunterladen: Im Gespräch Frau Dr. Christine Haiden mit Frau Gerlinde Haidinger, DGKS, Pflegende Mutter (42,35 MB)